Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenkasse: Voraussetzungen einer Versorgung mit Medizinal-Cannabis

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Versorgung mit Medizinal-Cannabis kommt in besonderen Fällen bei schwerwiegenden Erkrankungen unter den Voraussetzungen zum Zuge, dass die Krankheit lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, keine andere Therapie verfügbar ist und nach den vorliegenden Forschungsergebnissen (innerhalb des Zulassungsverfahren aufgrund der klinischen Prüfung oder außerhalb dieses Verfahrens) die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Arzneimittel ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.12.2020; Aktenzeichen B 1 KR 11/20 S)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 03.08.2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitig ist Rahmen eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz die Versorgung mit Medizinal-Cannabis.

Der Antragsteller, geboren 19…, leidet an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einem arzneimittelinduzierten Tremor, Schmerzen in den Extremitäten nach einer im Jahr 2013 operativ versorgten cervikalen Spinal-Kanal-Stenose, Restless-Legs-Syndrom, einer rezidivierenden depressiven Störung sowie an Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr (BMI von 30 bis unter 35). Zuletzt stand er als Diplom-Chemiker bis 31.03.2015 in einem Beschäftigungsverhältnis als Pharmareferent.

In den Jahren 2005 und 2008 wurde er psychiatrisch stationär behandelt wegen einer paranoiden Psychose sowie Depressionen. In der Zeit vom 05.10. bis 13.10 2016 befand er sich auf Veranlassung des Rentenversicherungsträgers in einer stationären medizinischen Rehabilitation in der Argentalklinik 2 in Isny-Neutrauchburg. Von dort wurde er wegen mangelnder Rehafähigkeit vorzeitig nach Hause entlassen. Empfohlen wurde die Durchführung einer Psychotherapie. Aufgrund der Schmerzzustände wurden Opiate verordnet (Tramal), bekannt ist ein Schmerzmittel- und Opiatmissbrauch.

Am 28.01.2020 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit cannabishaltigen Arzneimitteln und legte einen Arztfragebogen des Facharztes für Allgemeinmedizin W. vom 12.02.2020 vor. Verordnet werden sollte Cannabis FLOS Bedrocan zur Inhalation, je nach Effekt 1-3 Gramm täglich. Behandelt werden soll das chronische Schmerzsyndrom mit dem Behandlungsziel einer Schmerzreduktion sowie einer Einsparung von Opiaten. Es handle sich um eine schwerwiegende Erkrankung mit einer starken Einschränkung der Teilnahme am täglichen Leben aufgrund der Schmerzen. Aktuell werde der Antragsteller behandelt mit Oxycodon und Pregabalin. Physiotherapie sowie Schmerztherapie hätten keinen durchschlagenden Erfolg gezeigt. Einer psychotherapeutischen Mitbehandlung sei der Antragsteller nicht zugeneigt.

Die Antragsgegnerin beauftragte am 12.02.2020 den MDK Bayern mit einem Gutachten zur Prüfung der Leistungsvoraussetzungen für die Versorgung mit Cannabinoiden und setzte mit Schreiben vom gleichen Tag den Antragsteller davon in Kenntnis.

Mit Bescheid vom 26.02.2020 lehnte die Antragsgegnerin die Versorgung mit Medizinal-Cannabis ab mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung aus den zur Verfügung gestellten Unterlage nicht erkennbar seien.

Mit Email vom 10.03.2020 erhob der Antragsteller hiergegen Widerspruch unter Hinweis auf einen schwerwiegenden Schaden des Myelons. Unter dem 12.03.2020 gab der MDK Bayern eine gutachtliche Stellungnahme ab. Es sei davon auszugehen, dass beim Antragsteller ein komplexes Störungsbild mit psychischen und somatischen Faktoren vorliegt, welches zu einer nachhaltig beeinträchtigenden Lebensqualität führt. Die seit 2016 unveränderte Schmerzmedikation sowie die fehlenden Verordnungen von Heilmitteln seit 2015 lassen nicht erkennen, dass allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Leistungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass diese unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen nicht zur Anwendung kommen können. Die zwingende Notwendigkeit zur Versorgung mit einem nicht evidenzbasierten Einsatz von Medizinal-Cannabis sei aus den vorliegenden Unterlagen nicht abzuleiten. Empfohlen werde eine multimodale Schmerztherapie, von dieser sei erfolgversprechende Behandlungsstrategie zu erwarten. Auch eine psychiatrische Abklärung und Mitbehandlung werde empfohlen.

Unter dem 18.03.2020 beauftragte die Antragsgegnerin erneut den MDK mit einer Begutachtung nach Aktenlage zu exakt denselben Fragen wie m vorigen Gutachtensauftrag. Unter dem 20.04.2020 bestätigte der MDK in einem sozialmedizinischen Gutachten das Ergebnis der Begutachtung vom 12.03.2020 mit dem Zusatz, dass zwar die sozialmedizinischen Voraussetzung für eine Cannabisversorgung nicht vorlägen, jedoch aus ärztlicher Sicht ein Therapieversuch mit Cannabis als erfolgversprechend gesehen werde.

Mit Widers...

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