Entscheidungsstichwort (Thema)

Europaweite Ausschreibungen der gesetzlichen Krankenkassen. Sonderzuweisung des § 69 Abs 3 SGB 5. Nichteröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten

 

Leitsatz (amtlich)

Europaweite Ausschreibungen gesetzlicher Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber unterliegen der Sonderzuweisung des § 69 Abs 3 SGB V. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist auch hinsichtlich der Frage der Zweckmäßigkeit einer Ausschreibung nach § 127 Abs 1 S 6 SGB V nicht eröffnet.

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 01.02.2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 47.029,50 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Rechtmäßigkeit eines durch die Antragsgegnerin europaweit veranlassten Vergabeverfahrens zur Versorgung ihrer Versicherten mit Hilfsmitteln zur Stomaversorgung und ergänzenden Inkontinenzhilfen.

Die Antragsgegnerin ist eine gesetzliche Krankenkasse und leitete eine europaweite Ausschreibung zum Abschluss von Rahmenverträgen über die Versorgung mit Stomaartikeln (Produktgruppe 29 des Hilfsmittelverzeichnisses) und den in diesem Zusammenhang notwendigen Inkontinenzhilfen (Produktgruppe 15 des Hilfsmittelverzeichnisses) für ihre Versicherten. Diese Ausschreibung wurde unionweit im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (2017/S 213-442130) bekanntgemacht. Beginnend mit dem 01.04.2018 ist eine Laufzeit der Rahmenvereinbarungen von 24 Monaten mit der Möglichkeit einer zweimaligen, jeweils einjährigen Verlängerung vorgesehen. Wie sich aus der Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin ergibt, sind Leistungsgegenstand dieser Ausschreibung neben der Versorgung ihrer Versicherten mit Stomaartikeln und ergänzend mit Inkontinenzhilfen einschließlich Zubehör samt notwendiger Reparaturen und Ersatzteilen sowie notwendiger Wartungen und sicherheitstechnischer Kontrollen auch die in diesem Zusammenhang zu erbringenden Dienst- und Serviceleistungen (zu Einzelheiten wird auf Anlage 4 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 28.11.2017, Bl. 95 ff. SG-A, Bezug genommen). Die Angebotsfrist ist am 06.01.2018 abgelaufen. Die Antragstellerin hat ein Schreiben des Verwaltungsrats der Antragsgegnerin an die Leistungsbringer vom 15.02.2018 vorgelegt, wonach auf die Zuschlagserteilung während des laufenden aufsichtsrechtlichen Beratungsverfahrens verzichtet werde.

Die Antragstellerin, ein mittelständisches Familienunternehmen, ist eine nach § 126 SGB V präqualifizierte Leistungserbringerin im Gesundheitsbereich. Derzeit versorgt sie nach eigenen Angaben etwa 135 Versicherte der Antragsgegnerin mit Stomaartikeln; dafür wird von der Antragstellerin ein "bisheriger" jährlicher Umsatz von 313.530,00 EUR angegeben; die Antragsgegnerin hat den Umsatz für den Zeitraum vom 10/2016 bis 09/2017 mit einem wesentlichen geringeren Betrag beziffert. Die Antragstellerin hat in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren Angebote für bestimmte Gebietslose in einer Bietergemeinschaft und als alleinige Bieterin abgegeben, deren prognostizierte Umsätze von der Antragsgegnerin vorgelegt worden sind.

Bundesweit sind mehrere Verfahren gegen die Ausschreibung der Antragsgegnerin anhängig, sowohl vor den Sozialgerichten als auch bei den Vergabekammern des Bundes.

Mit ihrem am 28.11.2017 beim Sozialgericht München eingegangenen Antrag hat sich die Antragstellerin gegen das von der Antragsgegnerin veranlasste Ausschreibungsverfahren gewandt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, die ausgeschriebene Versorgung mit Stomaartikeln weise neben der Sachversorgung einen besonders hohen Dienstleistungsanteil auf, sodass eine Ausschreibung gemäß § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V nicht zweckmäßig und daher rechtswidrig sei. Da die Begründetheit des vorliegenden Antrages sich ausschließlich danach beurteile, ob die Ausschreibung der Antragsgegnerin im Sinne des § 127 Abs. 1 S.6 SGB V als zweckmäßig anzusehen sei, seien hier trotz Vorliegens einer Ausschreibung gerade nicht die vergaberechtlichen Vorschriften des GWB im Rahmen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens zu prüfen. Streitgegenstand sei hier eine Vorfrage vor Einleitung eines Ausschreibungsverfahrens, die von den Sozialgerichten zu beurteilen sei. Die Vergabeinstanzen gewährten keine rechtsstaatliche Kontrolle der Anwendungsvoraussetzungen für das Einleiten eines Ausschreibungsverfahrens. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, da eine Verletzung einer rechtlich anerkannten Position nicht ausgeschlossen werden könne. Die Antragsgegnerin verletze durch die rechtswidrige Ausschreibung das Recht der Antragstellerin auf Zugang zum Markt der Hilfsmittelversorgung für bis zu vier Jahren. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die europarechtskonforme Alternative der Hilfsmittelbeschaffung zu ergreifen und Verträge nach § 127 Abs. 2 und 2a SGB V abzuschließen, die keinen öffentlichen Auftrag dar...

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