Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Aufforderung zur Beantragung einer Altersrente
Leitsatz (amtlich)
Aufforderung zur Rentenantragstellung rechtmäßig
Orientierungssatz
1. Die Regelungen in § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II und § 12a SGB II sind verfassungsgemäß.
2. Eine vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die zu beantragende Leistung wird in § 12a SGB II nicht vorausgesetzt.
3. Im Hinblick auf den Grundsatz der gesetzlichen Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme einer vorrangigen Leistung, ist die pflichtgemäße Ermessensausübung - insbesondere wenn keine Ausnahmetatbestände der UnbilligkeitsV eingreifen - dahingehend vorgeprägt, dass im Regelfall von der Ermächtigung zur (Aufforderung zur) Rentenantragstellung Gebrauch zu machen ist.
4. Eine isolierte Betrachtung der Höhe des Leistungsanspruchs nach dem SGB II oder SGB XII und der Höhe der vorrangigen Sozialleistung können keinesfalls außergewöhnliche Umstände begründen.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.09.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Streitig ist die Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages sowie eine entsprechende Antragstellung durch den Antragsgegner (Ag).
Die 1952 geborene Antragstellerin (ASt) bezieht seit 10.09.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Ag. Zuletzt wurde ihr Alg II mit Bescheid vom 15.07.2016 für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.11.2016 iHv 828,60 € bewilligt. Nach eigenen Angaben verfüge sie über kein nennenswertes Vermögen. Laut der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (DRV) vom 21.04.2016 würde die Regelaltersrente, die ab 01.08.2017 gezahlt werden könne, 757,82 € betragen. Unter Berücksichtigung etwaiger künftiger Rentenanpassungen könne, die Rente bei einer jährlichen Anpassung um einen Prozentpunkt etwa 770 € bzw. bei zwei Prozentpunkten etwa 780 € betragen. Die Voraussetzungen für eine Altersrente für langjährig Versicherte mit einem frühesten Rentenbeginn ab 01.02.2015 - dabei entstünde ein Abschlag von 9% - lägen vor. Ab 01.08.2017 könne diese Rente abschlagsfrei bezogen werden.
Mit Bescheid vom 15.06.2016 bat der Ag die ASt - nach Aktenlage ohne vorherige Anhörung -, bis spätestens 02.07.2016 bei der DRV eine geminderte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu beantragen. Es bestehe die Verpflichtung diese vorrangige Leistung in Anspruch zu nehmen, mit der die Hilfebedürftigkeit vermindert bzw. beseitigt werden könne. Es seien alle Gesichtspunkte abgewogen worden, aber keine maßgeblichen Gesichtspunkte erkennbar, die gegen die Beantragung der vorrangigen Leistungen sprächen, so dass die ASt hierzu aufzufordern sei. Auch lägen keine Ausnahmen nach der Unbilligkeitsverordnung vor. Dagegen legte die ASt Widerspruch ein. Es sei unverständlich, weshalb sie nicht für eine Tätigkeit vermittelbar sei, da sie u.a. über eine Ausbildung zur Krippenerzieherin (Kindergärtnerin) verfüge und in diesem Bereich ein großer Bedarf an Arbeitskräften bestehe. Eine ermessensgerechte Prüfung des Einzelfalles sei nicht erkennbar. Der Rentenbezug sei für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden, da sie nach Ausschluss vom Rechtskreis des SGB II keine Eingliederungshilfen erhalten könne. Zudem sei die Rente nicht bedarfsdeckend, so dass zusätzlich Sozialhilfe benötigt würde. Ein "erweiterter Härtefall" liege vor.
Nach Aktenvermerken vom 07.07.2016 und 12.08.2016 über Auskünfte der Arbeitsvermittlung übe die ASt seit 2006 keine Beschäftigung mehr aus. Seit zehn Jahren suche sie erfolglos eine Arbeitsstelle, ohne dass überhaupt nur eine kurzfristige Arbeitsaufnahme gelungen sei. Ende 2015 und aktuell hätten auch längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Gesteigerte Chancen auf eine Arbeit vor dem Renteneintritt bestünden nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2016 wies der Ag den Widerspruch zurück. Zwar sei die ASt vor Erlass des Verwaltungsaktes nicht angehört worden. Dies sei aber im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden. Ein Fall der Unbilligkeitsverordnung liege nicht vor. Insbesondere die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft sei nicht glaubhaft. Sowohl bei Bezug einer Rente mit Abschlägen als auch einer abschlagsfreien Rente wäre eine Aufstockung durch Sozialleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) notwendig. Relevante Vermögenswerte, welche vor dem Bezug von Leistungen nach dem SGB XII einzusetzen wären, lägen nicht vor. Die getroffene Ermessensentscheidung sei daher nicht zu beanstanden. Über die dagegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage (S 16 AS 1179/16) ist bislang nicht entschieden. Einen am 25.08.2016 vom Ag gestellten Rentenantrag lehnte die DRV mit Bescheid vom 27.10.2016 ab, da den gesetzlichen Mitwirkungspflichten ni...