Entscheidungsstichwort (Thema)

einstweilige Anordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit europäischem Gemeinschaftsrecht ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend festzustellen. Aufgrund der vorzunehmenden Folgenabwägung sind Leistungen im ER-Verfahren vorläufig zu gewähren.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 14.02.2012 wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer trägt die außergerichtliche Kosten der Beschwerdegegner.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 01.02.2012 streitig.

Die Beschwerdegegner (Bg) sind bulgarische Staatsangehörige. Der 1959 geborene Bg zu 1), lebt seit August 2009 in der Bundesrepublik Deutschland. Seine 1964 geborene Ehefrau lebt seit Juni 2010 und der 1990 geborene Bg zu 3) seit August 2009 in Deutschland. Die Bg zu 2) und 3) legten eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) vor. Sie verfügen seit September bzw. Oktober 2011 über eine unbefristete und unbeschränkte Arbeitsberechtigung-EU nach § 284 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

Die Bg zu 1) und 3) waren unständig, tage- bzw. wochenweise, sozialversicherungspflichtig beschäftigt; nach Aktenlage zuletzt im August 2011 bzw. März 2011.

Für die Zeit von August 2011 bis Januar 2012 waren den Bg vom Beschwerdeführer (Bf) mit Bescheid vom 05.08.2011 (in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29.08.2011 und 10.10.2011) Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden.

Den Weiterbewilligungsantrag vom 19.01.2012 für die Zeit ab dem 01.02.2012 lehnte der Bf mit Bescheid vom 25.01.2012 ab, da die Bg die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 SGB II nicht erfüllen würden. Sie seien bulgarische Staatsbürger und würden nicht mehr über einen Arbeitnehmerstatus verfügen, da sie keine 12 Monate durchgehend in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hätten. Sie seien daher nicht in der Lage einen erheblichen Anteil zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes zu erbringen. Der Antrag werde daher nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 SGB II abgelehnt. Über den dagegen erhobenen Widerspruch vom 30.01.2012 wurde, nach Aktenlage, noch nicht entschieden.

Am 31.01.2012 stellten die Bg beim Sozialgericht Regensburg einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Sie hätten keine Mittel für die Sicherung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung und seien auch nicht krankenversichert.

Der Bf führte zur Erwiderung aus, dass für ein halbes Jahr Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestanden hätte, da aufgrund der dokumentierten Beschäftigungszeiten ein "Arbeitnehmerstatus" für ein halbes Jahr erlangt worden sei. Ein unbefristeter Arbeitnehmerstatus setze jedoch eine durchgehende Beschäftigungszeit von einem Jahr voraus, die die Bg nicht erfüllen würden.

Mit Beschluss des Sozialgerichts vom 14.02.2012 wurde der Bf verpflichtet, den Bg für die Zeit vom 01.02.2012 bis zum 31.07.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu zahlen. Das Sozialgericht hielt einen Anspruch der Bg auf Leistungen nach dem SGB II für möglich, da der Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform auszugestalten sei. Aufgrund einer Folgenabwägung gewährte das Sozialgericht Leistungen.

Mit Bescheid vom 20.02.2012 gewährte der Bf in Ausführung des Beschlusses des Sozialgerichts Regensburg für die Zeit von Februar bis Juli 2012 den Bg Leistungen in Höhe von monatlich 1323,00 €.

Der Bf hat am 14.03.2012 Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass die Bg zu 1) und 3) unständige Tätigkeiten von insgesamt weniger als einem Jahr ausgeübt hätten. Daher hätten sie gemäß § 2 Abs. 3 FreizügG/EU lediglich einen Status für die Dauer von sechs Monaten erhalten. Außerdem sei es bereits fraglich, ob die Zeiten einer unständigen Beschäftigung zu addieren sind.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Bf Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172,173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig aber unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht stattgegeben.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (sog. Regelungsanordnung) ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile umschreibt den sogenannten Anordnungsgrund (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl das zu sichernde Recht, der sogenannte Anordnungsanspruch, als auch der Anordnungsgrund, d....

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