Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrensgebühr. Wirksamwerden der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe. Würdigung des Arbeits- und Zeitaufwands des gesamten Verfahrens. Forderungssperre gegenüber dem Mandanten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verfahrensgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und damit bei jeder Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Prozessführungsauftrags vornimmt. Der Umstand, dass die anwaltliche Tätigkeit in einem Termin auch die Terminsgebühr und die Einigungsgebühr ausgelöst hat, hindert die Entstehung der Verfahrensgebühr nicht.
2. Im Fall der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe ist bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit gemäß § 14 Abs 1 S 1 RVG der im gesamten Verfahren aufgewendete Arbeits- und Zeitaufwand zu würdigen, nicht nur der Arbeits- und Zeitaufwand nach dem Wirksamwerden der Beiordnung.
Orientierungssatz
Die Forderungssperre des § 122 Abs 1 Nr 3 ZPO gegenüber dem Mandanten gilt für alle nach der Beiordnung verwirklichten Gebührentatbestände, auch wenn diese bereits vor der Beiordnung erfüllt waren (vgl BGH vom 21.2.2008 - I ZR 142/06 = FamRZ 2008, 982).
Tenor
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 24. September 2009 (S 10 SF 81/09 E) aufgehoben.
II. Die Kostenfestsetzung vom 10.08.2009 wird abgeändert. Die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Beschwerdeführers wird auf insgesamt 456,96 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Verfahrensgebühr, die dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung aus der Staatskasse zusteht.
Der Beschwerdeführer erhob für seine Mandantin am 08.08.2008 Klage zum Sozialgericht Bayreuth gegen Bescheide der Arbeitsagentur Stadt A-Stadt mit dem Ziel der Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf den Bedarf der Kinder und der Gewährung von höheren Kosten der Unterkunft (S 4 AS 998/08) und legte zugleich die am 30.06.2008 unterzeichnete Prozessvollmacht der Klägerin vor. Am 05.09.2008 begründete er die Klage und stellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung. Am 18.09.2008 reichte er die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein, am 18.03.2009 legte er unaufgefordert eine aktualisierte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Nach Terminierung eines Erörterungstermins für den 30.06.2009 forderte das Gericht mit Schreiben vom 25.05.2009 und 12.06.2009 ergänzende Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Ehemanns an, die am 29.06.2009 bei Gericht eingingen. Im Termin am 30.06.2009 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt und das Klageverfahren nach 60minütiger Verhandlung durch Vergleich beendet. Im Kostenpunkt verpflichtete sich die Beklagte, der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu einem Drittel zu erstatten.
Mit Schriftsatz vom 09.07.2009 stellte der Beschwerdeführer Kostenfestsetzungsantrag. Die Vergütung für seine anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe bezifferte er auf 494,67 Euro und legte dabei eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 170 Euro zugrunde (außerdem: Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200 Euro, Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190 Euro, Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG 21 Euro, Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 10 Euro, Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20 Euro, Dokumentenpauschale für 120 Ablichtungen Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG 47,50 Euro, Anrechnung Beratungshilfe 35 Euro: netto 623,50 Euro, zzgl. 19 % MWSt 118,47 Euro: brutto 741,97 Euro; davon zwei Drittel).
Die Kostenbeamtin setzte die aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren am 10.08.2009 auf 353,83 Euro fest:
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Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG |
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40,00 Euro |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG (antragsgemäß Mittelgebühr) |
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200,00 Euro |
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG (antragsgemäß Mittelgebühr) |
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190,00 Euro |
abzüglich Beratungshilfe nach Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG zu 1/2 |
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- 35,00 Euro |
Reisekosten/Abwesenheitsgelder (antragsgemäß) |
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31,00 Euro |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 RVG (antragsgemäß) |
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20,00 Euro |
Zwischensumme: |
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19% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
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Rechtsanwaltsgebühren brutto |
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530,74 Euro |
davon zwei Drittel laut gerichtlichem Vergleich: |
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353,83 Euro |
Zur Kürzung der Verfahrensgebühr führte die Kostenbeamtin aus, dass diese sich zwar im gesetzlich gesteckten Gebührenrahmen bewege, aber überhöht sei. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sei die Gebühr auf 40 Euro festzusetzen. Laut Beschluss des Sozialgerichts vom 30.06.2009 sei Prozesskostenhilfe erst ab 29.06.2009 bewilligt worden. Das Verfahren sei im Erörterungstermin am 30.06.2009 erledigt worden. Insoweit erscheine der Ansatz der doppelten Mindestgebühr gerechtfertigt.
Mit der dagegen eingelegten Erinneru...