Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Beschwerdeverfahren. Rechtsschutzbedürfnis trotz vorläufiger Leistungsgewährung. Sozialhilfe. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. drohende Wohnungslosigkeit nach Haftentlassung. vorbeugende Leistung. Prognoseentscheidung. Auswahlermessen. Berücksichtigung der Resthaftdauer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem Sozialhilfeträger fehlt es auch dann nicht an einem Rechtsschutzinteresse für eine Beschwerde nach §§ 172 ff SGG gegen eine einstweilige Anordnung, wenn er der vom SG ausgesprochenen Verpflichtung zur vorläufigen Leistungsgewährung zwischenzeitlich in vollem Umfang nachgekommen ist (entgegen LSG München vom 10.7.2009 - L 7 AS 323/09 B ER = ASR 2010, 227, vom 24.2.2011 - L 7 AS 54/11 B ER und vom 11.4.2011 - L 16 AS 168/11 B ER).

2. Besondere Lebensumstände mit sozialen Schwierigkeiten iS des § 67 SGB 12 liegen grundsätzlich vor, wenn bei Haftentlassung Wohnungslosigkeit besteht (vgl BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R = SozR 4-3500 § 67 Nr 1).

3. Bei der Erbringung von Leistungen nach §§ 67 ff SGB 12 steht dem Sozialhilfeträger ein Auswahlermessen zu. Dabei kommt der (gesamten oder verbleibenden) Haftdauer jedenfalls kein allein entscheidendes Gewicht zu (vgl BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R aaO).

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 24. April 2014 aufgehoben.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft die Frage, ob dem Antragsteller gegen den Antragsgegner ein Anspruch auf Übernahme von Mietkosten für die Zeit seiner Inhaftierung zusteht.

Der 1955 geborene Antragsteller stellte am 11.11.2013 beim Beklagten Antrag auf Übernahme der Mietkosten für die Zeit seiner Inhaftierung. Er legte eine Haftbescheinigung vor, der zu entnehmen ist, dass er sich seit 18.03.2013 in Haft befand. Als frühest mögliches Haftende war der 17.07.2014 angegeben, als voraussichtliches Haftende der 17.03.2015. Weiter legte der Antragsteller eine Bescheinigung der Wohnungsbau GmbH A-Stadt vor, der zu entnehmen ist, dass er seit 01.09.2009 eine 45,77 m² große Wohnung angemietet hat, für die ab 01.09.2013 eine Bruttowarmmiete von monatlich 298,05 Euro zu entrichten war, ab 01.01.2014 eine solche von 312,69 Euro.

Mit Bescheid vom 12.11.2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Übernahme der Mietkosten ab. Eine Mietübernahme komme grundsätzlich nur bei einer Haftdauer von bis zu 6 Monaten in Betracht. Die Entscheidung entspreche pflichtgemäßem Ermessen. Gegen den Bescheid wurde mit Schreiben vom 27.11.2013 Widerspruch eingelegt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es nicht auf die Haftdauer, sondern auf die Beachtung des Resozialisierungsgebotes ankomme und infolgedessen die Mietaufwendungen auch bei einer längeren Haftdauer zu übernehmen seien. Weiter führte der Antragsteller an, dass ein Wegzug oder ein Wohnungswechsel für ihn nicht akzeptabel sei. Der Widerspruch wurde mit Schreiben vom 20.01.2014 der Regierung von Schwaben vorgelegt. Ein Widerspruchsbescheid ist noch nicht ergangen.

Am 30.01.2014 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht (VG) B-Stadt um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er hat beantragt, den Antragsgegner zur Übernahme der Mietkosten ab 30.10.2013 zu verpflichten. Mit Beschluss vom 10.02.2014 hat das VG das Verfahren an das Sozialgericht Augsburg (SG) verwiesen.

Der Antragsteller hat zur Begründung ausgeführt, bis Oktober 2013 habe seine "Noch-Ehefrau" die Miete überwiesen. Grund für das Begehren seien der Resozialisierungsanspruch und die damit verbundenen vollzugsoffenen Maßnahmen, wie z. B. Ausgang und Urlaub sowie eine Entlassungsperspektive. Er benötige die Wohnung dringend nach seiner Entlassung zum Zweidrittelzeitpunkt (17.07.2014) um nicht in die Obdachlosigkeit zu fallen, insbesondere für die übergangslose Aufnahme einer Tätigkeit als Transportunternehmer. Auf Grund einer Knieoperation sei er auf Nachbarschaftshilfe und Sozialkontakte angewiesen. Im Übrigen würden Abbau und Einlagerung der Möbel mehr kosten als die Übernahme der Miete. Die Wohnung sei in einem tadellosen Zustand und werde regelmäßig gelüftet und gesäubert.

Der Antragsteller hat schließlich ein Kündigungsschreiben seiner Vermieter vom 05.03.2014 und eine Räumungsklage vom 17.03.2014 vorgelegt.

Der Antragsgegner ist dem Eilantrag entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 24. April 2014 hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller die Miete ab 1. November 2013 für die Wohnung in der A-Straße 23 in A-Stadt zu gewähren. Die Leistungen für die Unterkunft seien direkt an den Vermieter, die Wohnungsbau GmbH A-Stadt, zu entrichten.

Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dem nun auf den Zeitraum 01.11.2013 bis 17.07.2014 eingeschränkten Antrag sei stattzugeben. Beim Antragsteller bestehe sowohl ein Anordnungsanspruch ...

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