Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Verfahrensgebühr. Anrechnung der Geschäftsgebühr für das Vorverfahren. Bestimmung des Anrechnungsbetrages nach Vorbem 3 Abs 4 S 2 RVG-VV

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Berechnung des Anrechnungsbetrages nach Vorb 3 Abs 4 VV RVG (juris: RVG-VV).

2. Die Höchstgrenze des Anrechnungsbetrages nach Vorb 3 Abs 4 S 2 VV RVG liegt auch dann bei 175,- Euro, wenn der Betragsrahmen der entsprechenden Rahmengebühr wegen Nr 1008 VV RVG erhöht ist.

 

Orientierungssatz

Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr Nr 2300 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbem 3 Abs 4 RVG-VV kommt unter dem Rechtsgedanken des § 58 Abs 2 RVG im Verhältnis zur Staatskasse nur dann und insoweit in Betracht, wenn ansonsten der Rechtsanwalt mehr als seine vollen Regelanwaltsgebühren erhalten würde (vgl LSG Darmstadt vom 17.6.2019 - L 2 AS 241/18 B = AGS 2019, 343; OLG Frankfurt vom 17.10.2012 - 14 W 88/12 = NJW-RR 2013, 319).

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 28. April 2020, S 19 SF 33/20 E, sowie die Vergütungsfestsetzung der Urkundsbeamtin vom 15. Januar 2020 abgeändert. Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung wird auf 630,40 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH), insbesondere die Anrechnung einer Geschäftsgebühr für das Vorverfahren auf die Verfahrensgebühr des Klageverfahrens.

Der Beschwerdeführer (Bf) vertrat beide Kläger, Mutter und Sohn, in den Verfahren S 10 AS 421/15, S 10 AS 422/15 und S 10 AS 423/15. Gegenstand der Klagen war die Aufhebung der Bewilligung, Ablehnung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nach einem Erbfall. Der Bf erhob jeweils am 19.2.2015 Klage zum SG Halle und beantragte die Bewilligung von PKH. Nach Verweisung der Streitigkeiten an das zuständige SG Nürnberg wurden die Klagen mit Beschluss vom 4.5.2015 unter dem führenden Aktenzeichen S 10 AS 421/15 verbunden. Eine ausführliche Klagebegründung erfolgte durch den Bf mit Schriftsatz vom 14.3.2017. Nachdem den Klägern mit Beschluss vom 14.3.2017 ab Klageerhebung Prozesskostenhilfe bewilligt und der Bf zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Nürnberg ortsansässigen Rechtsanwaltes beigeordnet worden war, gab der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.3.2017 (Dauer 13.30 Uhr bis 14.30 Uhr unter Beiziehung eines Dolmetschers) ein Teilanerkenntnis ab. Im Übrigen wurden die Klagen für erledigt erklärt. Der Beklagte erklärte sich bereit, die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.9.2017 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die von dem Beklagten an die Kläger für die drei Verfahren zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf insgesamt 1.518,98 € (= 1/2 von 3037,96 €) unter Zugrundelegung von jeweils einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG sowie einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 300,00 € zuzüglich Erhöhungstatbestand für mehrere Auftraggeber nach Nr. 1008 VV RVG in Höhe von 90,00 € und der Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in Höhe von jeweils 175,00 € fest. Die hiergegen erhobene Erinnerung des Bf mit dem Begehren, eine Anrechnung - wie beantragt - lediglich in Höhe von 75,00 € vorzunehmen, da der Beklagte lediglich die Hälfte der Geschäftsgebühren zu zahlen habe, blieb ohne Erfolg (Beschluss des SG Nürnberg vom 4.4.2019, S 17 SF 278/18 E). Der Beklagte erstattete dem Bf sodann am 27.10.2017 den festgesetzten Betrag von 1.518,98 € zuzgl. Zinsen. Hierbei zahlte der Beklagte auf die Geschäftsgebühr jeweils 195,- € und auf die Verfahrensgebühr jeweils 107,50 € (zzgl. USt.)

Am 28.3.2017 beantragte der Bf, die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung für das führende Verfahren S 10 AS 421/15 (einschließlich der hinzuverbundenen Verfahren S 10 AS 422/15 und S 10 AS 423/15) auf 805,93 € festzusetzen. Wie schon im Antrag auf Kostenfestsetzung nahm er bei der Verfahrensgebühr, die er für jedes Verfahren mit 300,00 € ansetzte, eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG jeweils in Höhe von 75,00 € (= 1/2 der von dem Beklagten gezahlten Geschäftsgebühr in Höhe von 150,- €) vor.

Mit Beschluss vom 15.1.2020 setzte die zuständige Urkundsbeamtin die Vergütung im Verfahren S 10 AS 421/15 auf 502,48 € fest. Abweichend vom Antrag des Bf setzte sie die Verfahrensgebühr für die hinzuverbundenen Verfahren S 10 AS 422/15 und S 10 AS 423/15 auf lediglich jeweils 200,00 € zuzüglich des Erhöhungstatbestandes von 60,00 € fest und nahm für jedes der drei Verfahren eine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 in Höhe von 97,50 € vor. Die Festsetzung der übrigen Gebühren und Auslagen erf...

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