Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Befangenheit eines Sachverständigen. gesetzliche Unfallversicherung. fortbestehendes Beratungsarztverhältnis zwischen dem Sachverständigen und dem beklagten Unfallversicherungsträger. Ablehnungsgesuch. Zweiwochenfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein fortbestehendes Beratungsarztverhältnis zwischen dem Sachverständigen und dem beklagten Unfallversicherungsträger begründet die Besorgnis der Befangenheit.

2. Offen bleibt, ob ein früher bestehendes, inzwischen aber beendetes Beratungsarztverhältnis mit dem beklagten Unfallversicherungsträger die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt. Offen bleibt weiter, ob ein Beratungsarztverhältnis mit einem anderen als dem beklagten Unfallversicherungsträger die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt. Ebenso bleibt offen, ob und inwieweit eine gutachterliche Tätigkeit des Sachverständigen für den beklagten Unfallversicherungsträger, die in anderen Fällen als dem konkret streitigen Sachverhalt erfolgt, die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.

 

Normenkette

ZPO §§ 42, 406 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 411 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 21.11.2012 aufgehoben und das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. S. begründet ist. Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist Klägerin in einem Rechtsstreit betreffend die Anerkennung der Berufskrankheiten Nrn. 1302 und 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Dieser Rechtsstreit wird beim Sozialgericht (SG) Würzburg unter dem Az. S 5 U 157/12 geführt.

Das SG Würzburg hat mit Beweisanordnung vom 09.10.2012 den Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Klinikum der F.-Universität J., Prof. Dr. S., zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Die Parteien erhielten die Beweisanordnung in Abdruck.

Mit Schriftsatz vom 25.10.2012, beim SG am selben Tage eingegangen, hat die Klägerin den Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Sachverständige sei intensiv in berufsgenossenschaftliche Abläufe eingebunden, und zwar sowohl in wissenschaftlicher als auch in sonstiger Hinsicht. Jedenfalls sei seine Befangenheit deshalb zu besorgen, weil er früher für die Beklagte als beratender Arzt tätig gewesen sei und es vermutlich immer noch sei. Verwiesen wurde auf den Aufsatz "Ethische Aspekte der arbeitsmedizinischen Begutachtung aus Sicht des Gewerbearztes" von Prof. Dr. Ulrich Bolm-Audorff, in der dieser die Auffassung vertrat, dass beratende Ärzte sowohl der zuständigen als auch anderer Unfallversicherungsträger nicht als Sachverständige in Betracht kommen sollten.

Das SG hat hierzu die Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. S. eingeholt, der mit Schreiben vom 05.11.2012 einräumte, im Rahmen seiner gutachtlichen Nebentätigkeit gelegentlich auch beratend für die Beklagte tätig gewesen zu sein und dies auch immer noch zu sein, allerdings nicht in dem zu beurteilenden Fall. Er sehe sich weder als wirtschaftlich noch disziplinarisch von der Beklagten abhängig und deshalb nicht als befangen an. Auch wenn er Beratungsarzt der Beklagten sei, ergebe sich seine Unabhängigkeit jedenfalls aus seiner Stellung als unabhängiger Professor.

Ohne die Bf. zu der Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. S. anzuhören, hat das SG mit Beschluss vom 21.11.2012 (Az. S 5 SF 194/12) den Antrag auf Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Befangenheit abgewiesen. Der Ablehnungsantrag sei wegen Rechtsmissbräuchlichkeit unzulässig, da absolut untaugliche Gesichtspunkte zur Substantiierung des Ablehnungsantrags vorgebracht würden. Unabhängig davon sei der Antrag auch unbegründet. Eine etwaige Tätigkeit des Sachverständigen Prof. Dr. S. als beratender Arzt oder Gutachter für Berufsgenossenschaften in anderen Verwaltungsverfahren begründe für sich keine Zweifel an der Objektivität und Unparteilichkeit des Sachverständigen. Entgegen der im Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz von Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer geäußerten Auffassung vermöge das Gericht auch in der beratenden Tätigkeit des Sachverständigen einen Grund zur Besorgnis der Befangenheit nicht zu erkennen.

Gegen diesen am 10.12.2012 dem Bf. zugestellten Beschluss hat dieser mit beim SG am 18.12.2012 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt.

Neben weiteren Ausführungen zur Besorgnis der Befangenheit aufgrund der Stellung des Sachverständigen als Beratungsarzt hat sich die Bf. insbesondere dagegen gewandt, dass das SG ihr Anliegen als rechtsmissbräuchlich bezeichne, jedoch andererseits selbst grundlegende verfahrensrechtliche Vorschriften missachte, wie hier die Gewährung rechtlichen Gehörs zu der von Prof. Dr. S. eingeholten Stellungnahme.

Das Baye...

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