Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Nachteilausgleich. Merkzeichen "aG". rein psychische Einschränkung der Gehfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Rein psychisch bedingte Einschränkungen der Gehfähigkeit sind nicht in der Lage, zu einer Gleichstellung mit Doppeloberschenkelamputierten oder vergleichbaren Gruppen von Amputationsbefunden im Sinne der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" zu führen.
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" hat.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 18.03.1999 stellte das Amt für Versorgung und Familienförderung - Versorgungsamt - bei dem am 06.08.1948 geborenen Kläger als Behinderungen fest:
1. Funktionsbehinderung des Hüftgelenks links, Versteifung des Kniegelenks links, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Nervenwurzelreizerscheinungen
2. psychovegetative Störungen.
Der GdB wurde mit 80 bewertet, und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B" und "G" wurde festgestellt.
Am 24.05.2006 beantragte der Kläger die Feststellung des Merkzeichens "aG". Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 03.08.2006 ab.
Am 14.12.2007 beantragte er das Merkzeichen "aG" erneut. Nach Auswertung von Befunden der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. R. sowie der Stiftsklinik A. lehnte der Beklagte, vertreten durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.03.2008 den Antrag des Klägers vom 14.12.2007, den Bescheid vom 18.03.1999 aufzuheben und eine neue Feststellung nach § 69 SGB IX zu treffen, ab. Der GdB betrage wie bisher 80, und die Merkzeichen "G" und "B" würden weiterhin zuerkannt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 02.05.2008 Widerspruch ein und verwies auf ein Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. S. vom 29.04.2008. Dieser bescheinigte, der Kläger sei auf Benutzung von Unterarm-Gehstützen und das Tragen von orthopädischen Schuhen angewiesen. Eine erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit liege vor. Dies bestätigte er in einem Befundbericht, der bei der Versorgungsverwaltung am 21.05.2008 einging.
Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 25.07.2008 wies der Beklagte, vertreten durch das ZBFS, den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2008 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 28.08.2008 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben. Das SG hat den Orthopäden Dr. V. F. zum Sachverständigen bestellt, der in seinem Gutachten vom 17.04.2009 festgestellt hat, der GdB sei nicht höher als 80, und die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nicht erfüllt. Ein weiteres Gutachten ist gemäß § 106 SGG von dem Facharzt für innere Medizin W. M. erstellt worden. In dem Gutachten vom 30.05.2009 hat auch dieser Sachverständige die Ergebnisse des Vorgutachters aus internistischer Sicht bestätigt.
Der Kläger hat vor dem SG beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2008 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.12.2009 abgewiesen. Es ist dem Kläger am 25.03.2010 zugestellt worden.
Mit der am 21.04.2010 eingelegten Berufung verweist der Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.03.2007 (Az.: B 9a SB 5/05 R), in dem das BSG ausgeführt habe, dass die Frage, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" vorlägen oder nicht, weder anhand einer bestimmten Wegstrecke noch mit Hilfe eines am Zeitmaß orientierten Maßstabs zu beantworten sei; entscheidend sei allein, unter welchen Bedingungen sich der behinderte Mensch bewegen könne, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Das Erfordernis, dass er sich "nur mit fremder Hilfe" fortbewegen könne, sei erfüllt, weil nach den ärztlichen Attesten eine Fortbewegung nur mit Gehhilfen möglich sei. Ferner beruft sich der Kläger auf das Urteil des SG Düsseldorf vom 16.12.2008 Az. S 35 (6) SB 43/06, in dem in Fortschreibung der Rechtsprechung des BSG die Kammer der Auffassung gewesen sei, dass neben den vom BSG benannten Kriterien der fremden Hilfe und der großen körperlichen Anstrengung auch andere Kriterien in Betracht kämen, die die Behinderungen der Fortbewegung besonders negativ beeinflussen; insoweit müssten sich körperliche Anstrengungen nicht zwingend im pulmonalen oder muskulären Bereich zeigen, sondern es reiche aus, wenn große Anstrengungen geistiger Art - hier Anforderungen an die Konzentration - zur Fortbewegung erforderlich seien.
Der Kläger bezieht sich auf die ärztlichen Bescheinigungen des Facharztes für Orthopädie, S. B...