Leitsatz (amtlich)

1. Eine Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht ist im Klageverfahren unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstands der Hauptsache zulässig. § 172 Abs. 3 Abs. 3 Nr. 1 SGG bezieht sich nur auf Eilverfahren.

2. Eine Klage, die ausschließlich die Verfassungswidrigkeit der ab 01.01.2011 gültigen Regelbedarfe nach SGB II geltend macht, ist ohne Erfolgsaussicht. Hierfür kann Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14. April 2011 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob Prozesskostenhilfe für eine Klage zu gewähren ist, in der ausschließlich geltend gemacht wird, dass der mit Gesetz zum 01.01.2011 festgelegte Regelbedarf für Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verfassungswidrig sei.

Die im Jahr 1970 geborene Klägerin zu 1 und ihre beiden 1994 und 1999 geborenen Kinder (Kläger zu 2 und 3) beziehen vom Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 13.09.2010 bewilligte der Beklagte Leistungen für die Zeit von 01.10.2010 bis 31.03.2011. Dieser Bescheid wurde nicht mit Widerspruch angefochten.

Mit Änderungsbescheid vom 20.12.2010 wurde die laufende Bewilligung für die Monate Februar und März 2011 geändert, weil für den Kläger zu 3 Wohngeld bewilligt wurde, das als Einkommen für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft angerechnet wurde. Dagegen wurde am 13.01.2011 Widerspruch eingelegt, der damit begründet wurde, dass die Berechnung der Regelsätze verfassungswidrig sei, insbesondere auch keine Rentenzahlungen mehr erbracht würden und somit aus der Regelleistung eine eigene Altersvorsorge zu sichern sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bis zur Verkündung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes fehle es an einer rechtlichen Grundlage, höhere Regelleistungen zu gewähren.

Am 02.03.2011 wurde Klage erhoben. Die bloße Ankündigung, die Regelsätze rückwirkend anzupassen, ändere nichts am Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Bereits jetzt sei absehbar, dass die im Gesetzgebungsverfahren enthaltenen Erhöhungen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten. Es fehlten wesentliche Bedarfspositionen wie Altersvorsorge, Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung und auch Aufwendungen für Telekommunikation. Aus diesem Grund sei der Regelsatz nicht mehr verbindlich, es müsse eine individualisierende Einzelpreisprüfung und Leistungsbewilligung erfolgen. Zugleich wurde Prozesskostenhilfe beantragt.

Mit Beschluss vom 14.04.2011 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Es bestehe keine hinreichende Erfolgsaussicht. Eine Klage, die mit der Begründung erhoben werde, die alten Regelsätze seien nicht verfassungsgemäß, sei mutwillig. Ein das Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln aufbringen müsse, würde ein derartiges Verfahren nicht betreiben. Bereits seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2011 und dem Beschluss des Bundestages vom 03.12.2010 sei klar, dass die Anhebung der Regelsätze rückwirkend zum 01.01.2011 erfolgen werde. Eine Klage mit einem derartigen Ziel sei daher nicht geboten, sondern mutwillig. Soweit die Klage damit begründet werde, das auch die neuen Regelsätze nicht verfassungsgemäß seien, bestehe ebenfalls keine ausreichende Erfolgsaussicht. Das Bundesverfassungsgericht habe lediglich in vier Punkten einen Änderungsbedarf gesehen: Die Regelleistungen für Kinder und Jugendliche müssten deren spezifischen Bedarf erfassen, darunter auch notwendige Bildungsausgaben; die Fortschreibung der Regelleistungen anhand der Rentenentwicklung sei willkürlich; Kürzungen bei Bedarfpositionen müssen nachvollziehbar sein und im Einzelfall müsse ein atypischer Sonderbedarf gewährt werden. Die neuen gesetzlichen Regelungen würden keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, zumal die Regelsätze bei den Kindern sogar über die Fortschreibung hinaus erhöht worden seien.

Am 27.04.2011 haben die Kläger Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts erhoben. Die Klage sei nicht mutwillig, weil auch untere Instanzen bei verfassungsrechtlichen Bedenken die neue gesetzliche Regelung dem Bundesverfassungsgericht vorlegen könnten. Bei existenzsichernden Leistungen bestehe auch bei geringen Beträgen ein Rechtsschutzbedürfnis. Es sei nicht zu verkennen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Verfahren, die sich mit der Verfassungskonformität des Regelsatzes befassen, unter Umständen eine nicht unerhebliche Anzahl von Folgeverfahren auslösen könnten. Teilweise bestehe aber keine Klagebereitschaft der Betroffenen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sei von Seiten der Politik als auch von Wohlfahrtsverbänden das neue Berechnungsverfahren für die Regelleistung als verfassungswidrig eingeschätzt worden. Problematisch sei etwa die Frage der statistischen Referenzgru...

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