Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung: Anforderungen an die Bestimmtheit bei Feststellung einer Anspruchseinschränkung. Anhörung des Leistungsempfängers

 

Leitsatz (amtlich)

I. Ein Verwaltungsakt, der eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG feststellt, muss den Lebenssachverhalt, der der Anspruchseinschränkung zugrunde liegt, hinreichend bestimmt bezeichnen.

II. Vor Erlass eines solchen Verwaltungsaktes ist der betroffene Leistungsempfänger anzuhören.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.12.2018 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20.09.2018 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum 12.10.2018 bis 31.03.2019 monatliche Leistungen i.H.v. insgesamt 541,00 € zu erbringen.

II. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind zu erstatten.

III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt, gewährt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin (Ast) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum 12.10.2018 bis 31.03.2019.

Die 1991 geborene Ast ist aserbaidschanische Staatsangehörige und gemeinsam mit ihren Eltern am 02.05.2005 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie ist wegen einer geistigen Behinderung, seelischen Störung schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80. Ihr sind die Merkzeichen G und B zuerkannt. Für die Ast ist Frau C. zur Betreuerin in allen Angelegenheiten bestellt (Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 26.10.2017). Am 12.05.2005 beantragte die Ast die Anerkennung als Asylberechtigte. Dieser Antrag wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.06.2005 abgelehnt. Die Ast ist seit dem 25.04.2007 vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und verfügt aktuell über eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Die Ast bezieht von der Antragsgegnerin seit Jahren laufende Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG. Zuletzt bewilligte die Antragsgegnerin ihr für den Zeitraum bis 30.09.2018 laufende Leistungen in Höhe von monatlich 469,25 € (vgl. hierzu u.a. Bescheide vom 12.02.2018, 22.03.2018, 25.04.2018, 24.05.2018, 25.06.2018 und 24.07.2018). Der Betrag setzte sich aus Grundleistungen nach § 3 AsylbLG i.H.v. monatlich 284 €, abzüglich einer Kürzung um 71,75 €, sowie Kosten der Unterkunft und Heizkosten in Höhe von 257 € zusammen.

Am 03.08.2018 fragte die Antragsgegnerin zur Klärung von Kürzungstatbeständen bei der Zentralen Ausländerbehörde in Form eines multiple-choice-Fragebogens an. Am 13.09.2018 sandte die Regierung von Mittelfranken - Zentrale Ausländerbehörde Mittelfranken ein Auskunftsschreiben ("Mitteilung gemäß § 90 Abs. 3 AufenthG") an die Antragsgegnerin. In diesem war unter der Überschrift "Sachverhalte zu Leistungskürzungen" § 1a Abs. 3 AsylbLG angekreuzt. Des Weiteren ergab sich aus angekreuzten Textbausteinen folgender Sachverhalt: Der/Die Leistungsberechtigte hat eine Duldung (§ 1 Abs. 1 Ziffer 4 AsylbLG) und aufenthaltsbeendende Maßnahmen können nicht vollzogen werden, da ein fehlendes Heimreisedokument entgegensteht. Die o.g. hat selbst zu vertreten, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht vollzogen werden konnte, da ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten (§ 82 AufenthG) bei der Beschaffung von Intensitätspapieren oder erforderlichen Heimreisedokumenten vorliegt, Angabe einer falschen Identität, Herkunft oder Staatsangehörigkeit getätigt wurden. Das Mitteilungsformular war mit ergänzenden Bemerkungen versehen.

Am 20.09.2018 erließ die Antragsgegnerin einen Bescheid, mit dem sie die Grundleistungen zur Deckung des Bedarfs der Ast vom 01.10.2018 bis zur Nachholung ihrer Mitwirkungspflicht bzw. bis zum Wegfall der Kürzungstatbestände, längstens bis 31.03.2019 auf den Betrag von 165,84 € einschränkte. Wie sich aus den Gründen des Bescheids ergibt, wurden allerdings zuzüglich zu diesem Betrag Leistungen der Unterkunft, einschließlich Heizung, als Sachleistung bewilligt.

Hiergegen legte die Ast am 12.10.2018 Widerspruch ein. Über den Widerspruch wurde nach telefonischer Auskunft der Antragsgegnerin vom 14.05.2019 bislang noch nicht entschieden.

Ebenfalls am 12.10.2018 hat die Ast beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Mit Beschluss vom 20.12.2018 hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Zugleich hat es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat die Ast Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Vorschrift des § 1a AsylbLG, insbesondere die des § 1a Abs. 4 AsylbLG, sei verfassungswidrig. Außerdem habe die unter Betreuung stehende Ast alle zumutbaren Handlungen vorgenommen, um ihre Identität nachzuweisen. Da...

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