Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Berichtigung eines Urteils bei Fehlen einer Kostenentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird in einem Verfahren nach § 197a SGG im Urteil keine Entscheidung über das Tragen der Gerichtskosten getroffen und zugleich ein Streitwert festgesetzt, erlaubt diese Widersprüchlichkeit des Tenors allein keine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 138 SGG.

Voraussetzung für eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit ist, dass für einen Außenstehenden ohne Weiteres und eindeutig ersichtlich ist, dass die Widersprüchlichkeit auf einem Fehler der Erklärung, nicht einer fehlerhaften Entscheidungsfindung oder Rechtsanwendung beruht, und dass erkennbar ist, welche Entscheidung tatsächlich getroffen, aber fehlerhaft erklärt worden ist.

 

Orientierungssatz

1. Wurde eine Kostenentscheidung im Rahmen einer Urteilsberichtigung nachträglich in die gerichtliche Entscheidung aufgenommen, so ist gegen den Berichtigungsbeschluss das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft.

2. Einem Berichtigungsbeschluss zur Berichtigung eines Urteils muss eine Anhörung der Beteiligten vorausgehen, soweit nicht nur lediglich Schreib- oder Rechenfehler betroffen sind oder aus der Berichtigung ein Eingriff in die Rechte der Verfahrensbeteiligung nicht folgt.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 10.03.2016 aufgehoben.

 

Gründe

I.

Die Klägerin machte als Unfallversicherungsträger im Verfahren vor dem Sozialgericht München (SG) unter dem Az. S 44 KR 116/13 zunächst mit Klageschrift vom 10.01.2013 gegenüber der beklagten Krankenkasse von F.P. Erstattungsansprüche für Aufwendungen im Zusammenhang mit dessen Heilbehandlung in Höhe von 4.142,65 Euro geltend. Das SG forderte von der Klägerin einen vorläufigen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 339,- Euro auf Basis eines Streitwerts von 4.142,65 Euro. Mit Schriftsatz vom 13.10.2015 reduzierte die Klägerin ihre Klageforderung auf einen Betrag in Höhe von 2.693,55 Euro.

Nach mündlicher Verhandlung wies das SG mit Urteil vom 10.03.2016 die Klage mit folgendem verkündeten Tenor ab:

"I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

III. Der Streitwert wird auf 4.142,65 Euro festgesetzt."

Das SG erließ noch am Sitzungstag in Kammerbesetzung einen Beschluss mit folgender Abänderung von Ziffer II des Urteils in "II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin."

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im verkündeten Tenor des Urteils versehentlich anstelle der für Verfahren nach § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zwingend resultierenden Kostenfolge eine Kostenentscheidung unter Zugrundelegung des - hier nicht anwendbaren - § 193 SGG "ausgeworfen" worden sei. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils werde Bezug genommen. Dieser offensichtliche Fehler sei von Amts wegen nach § 138 SGG zu berichtigen. Die schriftliche Abfassung des Urteils enthält bereits die geänderte Kostenentscheidung entsprechend dem Berichtigungsbeschluss; in der Begründung zur Kostenentscheidung wird auf den Berichtigungsbeschluss Bezug genommen.

Am 29.03.2016 ist beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) die Beschwerde der Klägerin gegen den Berichtigungsbeschluss eingegangen. Die Klägerin habe der Beklagten ohnehin keine außergerichtlichen Kosten erstatten müssen. Die Unvollständigkeit des Kostenausspruchs hinsichtlich der Gerichtskosten rechtfertige keine Korrektur nach § 138 SGG. Die Beklagte hält den Beschluss für rechtmäßig; es habe sich um eine offenbare Unrichtigkeit gehandelt. Ausreichend sei, dass sich die Unrichtigkeit wie hier aus den später abgefassten Entscheidungsgründen ergebe.

II.

Die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss ist gemäß § 172 SGG statthaft. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG oder nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 158 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen, weil sich die Beschwerde nicht gegen den Inhalt der Kostengrundentscheidung richtet, sondern gegen die Rechtmäßigkeit der Urteilsberichtigung (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 28.10.2015 - L 8 R 401/15 B - Juris RdNr. 10, BVerwG Beschluss vom 17.09.2007 - 8 B 30/07 - Juris RdNr. 7).

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.

Der Senat kann offenlassen, ob der Berichtigungsbeschluss schon deswegen aufzuheben ist, weil anstelle der gemäß § 138 Abs. 1 Satz 2 SGG zuständigen Vorsitzenden die Kammer entschieden hat (vgl. hierzu BSG im Beschluss vom 06.03.2012 - B 1 KR 43/11 B - Juris RdNr. 4). Der Berichtigungsbeschluss ist jedenfalls deswegen rechtswidrig und aufzuheben, weil die Berichtigung von Amts wegen ohne vorherige Anhörung der Beteiligten beschlossen wurde. Das Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) immanente Anliegen, den Einzelnen nicht zum bloßen Objekt richterlicher Entscheidung werden zu lassen, gebietet im Berichtigungsverfahren nach § 138 SGG eine vorherige Anhörung der Beteiligten, außer wenn von der Berichtigung reine Forma...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge