Leitsatz (amtlich)
1. Im Beschwerdeverfahren nach § 56 RVG reicht eine materielle Beschwer aus, um die Sachentscheidungsvoraussetzung der Beschwer zu erfüllen. Daher kann eine rechtsmittelfähige Beschwer auch dann bestehen, wenn eine negative Entscheidung auf die Erinnerung wegen Unzulässigkeit statt wegen Unbegründetheit ergangen ist.
2. Zur Bezifferung des Werts des Beschwerdegegenstands bei nur materieller Beschwer.
3. Ein Rechtsanwalt kann seine einmal getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe innerhalb des Gebührenrahmens grundsätzlich nicht wieder aufheben oder auch nur "nachbessern".
Tenor
I. Auf die Beschwerden der Staatskasse werden die Beschlüsse des Sozialgerichts München vom 16. Juli 2012 (S 36 SF 448/12 E) und vom 17. Juli 2012 (S 36 SF 447/12 E) aufgehoben.
II. Auf die Erinnerung des Beschwerdegegners gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht München vom 2. Mai 2012 (S 36 AL 1154/08) werden für das Verfahren S 36 AL 1154/08 eine Verfahrensgebühr in Höhe von 250 EUR und eine Terminsgebühr in Höhe von 150 EUR festgesetzt.
III. Im Übrigen wird die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17. Juli 2012 (S 36 SF 447/12 E) zurückgewiesen.
IV. Die Erinnerung des Beschwerdegegners gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht München vom 2. Mai 2012 (S 36 AL 1269/08) wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beschwerdeverfahren betreffen die aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen nach §§ 45 ff. RVG.
Der Beschwerdegegner vertrat die damalige Klägerin in zwei arbeitsförderungsrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (S 36 AL 1154/08 und S 36 AL 1269/08). Er war jeweils im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Nach Erledigung der Klageverfahren beantragte er in beiden Verfahren die Festsetzung der gegen die Staatskasse entstandenen Anwaltsvergütung. Weil der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zum Teil deutlich weniger als die von ihm veranschlagten Gebühren festsetzte, hat der Beschwerdegegner in beiden Verfahren Erinnerung eingelegt. In den Erinnerungsschriftsätzen hat er jeweils erklärt, er nehme den ersten Kostenfestsetzungsantrag zurück, und parallel dazu höhere Gebühren beantragt, als sie im ersten Kostenfestsetzungsantrag enthalten waren. Die Kostenrichterin hat die Erinnerungen mit Beschlüssen vom 16. (S 36 SF 448/12 E, zurückgehend auf S 36 AL 1269/08) bzw. 17.07.2012 (S 36 SF 447/12 E, zurückgehend auf S 36 AL 1154/08) als unzulässig verworfen. Da der Beschwerdegegner, so die Kostenrichterin zur Begründung, seine ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträge zurückgenommen habe, seien die Festsetzungen des Urkundsbeamten gegenstandslos geworden. Damit bestehe für beide Erinnerungen kein Rechtsschutzinteresse.
Dagegen hat die Staatskasse am 26.07.2012 jeweils Beschwerde eingelegt, wobei das Verfahren L 15 SF 160/12 B sich auf die Sache S 36 SF 447/12 E, das Verfahren L 15 SF 161/12 B sich auf die Sache S 36 SF 448/12 E bezieht. Sie vertritt die Auffassung, die Kostenrichterin hätte die ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträge nicht als zurückgenommen behandeln dürfen. Vielmehr hätte sie, ohne vorher den Urkundsbeamten damit zu befassen, jeweils über den in der Erinnerungsschrift nachgeschobenen Kostenfestsetzungsantrag des Beschwerdegegners in der Sache entscheiden müssen. Diese Entscheidungen, so die Staatskasse sinngemäß, hätten so ausfallen müssen, wie es der Urkundsbeamte in seinen Kostenfestsetzungen aufgezeigt habe.
Der Senat hat die Akten des Sozialgerichts S 36 AL 1154/08 und S 36 AL 1269/08 beigezogen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheiten gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde der Staatskasse im Verfahren L 15 SF 160/12 B hat teilweisen, ihre Beschwerde im Verfahren L 15 SF 161/12 B hat vollen Erfolg.
1. Beide Beschwerden der Staatskasse sind zulässig. Indes liegt darin das gravierendste Problem der Fälle.
a) Zunächst vermag man aus Sicht der Staatskasse eine grundsätzlich rechtsmittelfähige Beschwer im Sinn einer möglichen Verletzung eigener Rechte festzustellen. Schon das liegt aber keineswegs auf der Hand. Denn die Kostenrichterin hat dem Beschwerdegegner keine höhere Vergütung zugesprochen, so dass man an der Beschwer der Staatskasse zweifeln könnte. Da aber für den Beschwerdeführer eine lediglich materielle Beschwer ausreicht, kann eine rechtsmittelfähige Beschwer ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn eine negative Entscheidung auf die Erinnerung wegen Unzulässigkeit statt wegen Unbegründetheit ergangen ist. Allgemein kann eine rechtsmittelfähige (materielle) Beschwer darin liegen, dass ein Begehren nicht al...