Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialverwaltungsrecht: Zugang eines Sozialverwaltungsaktes. Voraussetzung der Anwendung der Zugangsfiktion. Anforderungen an den Nachweis der Aufgabe eines Bescheides zur Post

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Vermerk über die Aufgabe zur Post im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB X ist von der Poststelle anzubringen.

 

Orientierungssatz

Die auf drei Tage Postlauf ausgelegte Zugangsfiktion für einen Sozialverwaltungsakt kann nur dann als Zeitpunkt eines des Zugangs zugrunde gelegt werden, wenn sich der Tag der Abgabe des Verwaltungsaktes zur Post feststellen lässt. Dies wird regelmäßig durch einen durch die Poststelle anzubringenden Vermerk über den Tag der Postaufgabe in der Verwaltungsakte nachgewiesen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.05.2016 - S 4 AS 789/15 - aufgehoben und der Klägerin für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt sowie Rechtsanwalt H., A-Stadt, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Klägerin und ihre 2001 geborene Tochter beziehen aufgrund des Bescheides vom 12.05.2015 vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.06.2015 bis 30.05.2016. Wegen der Höhe der vom Beklagten für angemessen erachteten Unterkunfts- und Heizungskosten legte die Klägerin Widerspruch ein. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2015 zurück. Nachdem die Klägerin bereits über die Notwendigkeit der Kostensenkung informiert worden sei, könne nunmehr nur die sich aufgrund eines schlüssigen Konzeptes ergebenden angemessenen Unterkunfts- und Heizungskosten übernommen werden.

Auf dem in der Akte sich befindenden Widerspruchsbescheid ist oben rechts vermerkt: "abges: 17.09.15". Zudem ist eine Paraphe dort angebracht.

Am 21.10.2015 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben und die Zahlung der Unterkunfts- und Heizungskosten in der tatsächlichen Höhe geltend gemacht. Zudem hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt.

Mit Beschluss vom 06.05.2016 hatte das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Der Widerspruchsbescheid sei am 17.09.2015 zur Post gegeben worden, so dass die Klagefrist am 21.09.2015 zu laufen begonnen und am 20.10.2015 (Dienstag) geendet habe. Damit sei die Klage verfristet erhoben worden und es bestünde keine hinreichende Erfolgsaussicht für die Bewilligung von PKH.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist nicht begründet. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R (Rn.26) - SozR 3-1500 § 62 Nr.19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH-Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. § 73a Rn.7ff.). Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind nicht im PKH- Verfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993 - 1 BvR 1523/92 - NJW 1994, 241f). PKH muss jedoch nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 (Rn. 29) - BVerfGE 81, 347ff). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 - NJW 2008, 1060ff).

Vorliegend ist eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu verneinen. Unabhängig davon, ob ...

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