Leitsatz (amtlich)

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Anfechtungsklage gegen einen das Pflegegeld entziehenden Bescheid ist die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides. Eine spätere Änderung der Sach- und Rechtslage ist in der Regel unbeachtlich.

2. Zur Maßgeblichkeit der Schätzung an Zeitbedarfs für eine Leistungsüberprüfung.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10.03.2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2007 aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung von Pflegegeld.

Der Kläger leidet an Mukoviszidose. Mit Bescheid vom 12.05.1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach Pflegestufe I ab 01.04.1995. Diese Einstufung wurde aufgrund einer Stellungnahme des MDK vom 07.11.1994 vorgenommen. Die Pflegestufe wurde vom MDK im Gutachten vom 24.01.2005 bestätigt

Am 07.02.2006 erstellte Frau W. im Auftrag der Beklagten erneut ein Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Sie kam darin zum Ergebnis, dass der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege nur noch 7 Minuten betrage. Der Kläger leide an Mukoviszidose. Er benötige deshalb weiter Hilfe bei den Maßnahmen zur Sekretelimination. Diese erfolge durch Vibrationsmassagen, welche von der Mutter durchgeführt werden. Daraufhin erging am 16.02.2006 Bescheid der Beklagten, mit dem die Pflegegeldzahlung zum 28.02.2006 eingestellt wurde. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2007 zurück.

Hiergegen legte der Kläger am 14.09.2007 Klage beim Sozialgericht München ein. Die Voraussetzungen des § 48 Sozialgesetzbuch (SGB) X seien nicht erfüllt. Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass eine Änderung zum Bescheid vom 12.05.1995 eingetreten sei. Es sei offen, ob seinerzeit überhaupt ein Gutachten zum Pflegebedarf erstellt worden sei.

Aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht bestehe keine wesentliche Änderung. Entgegen den Ausführungen des MDK und der Beklagten seien auch die Maßnahmen zur "Keimprophylaxe" zur Verrichtung "Waschen" zu zählen. Hieraus entstehe ein weiterer Hilfebedarf von 3 Minuten. Ein Hilfebedarf von 4 Minuten resultiere aus der Hilfe beim täglichen Eincremen. Hierbei handele es sich nicht um eine Maßnahme, die Bestandteil der Verrichtung Waschen sei. Dieses Eincremen sei krankheitsbedingt erforderlich. Für die Reinigung des WC-Umfeldes, Rückführung des Darmprolaps sowie Kontrolle der Stuhlbeschaffenheit seien 6 Minuten insgesamt anerkannt. Auch dies entspreche nicht den Tatsachen. Bei der Nahrungsaufnahme sei ein weiterer Hilfebedarf von zusätzlich 10 Minuten anzuerkennen. Die dauernde Anwesenheit der Mutter bei der Nahrungsaufnahme sei erforderlich. Die Fahrten zur Krankengymnastik könne der Kläger nicht selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen. Die Anwesenheit der Mutter bei der Physiotherapie sei erforderlich.

Mit Beweisanordnung vom 27.01.2009 ernannte das Sozialgericht Dr.E. Sch. zur gerichtlichen Sachverständigen. In ihrem Gutachten vom 24.11.2009 gelangte sie zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Pflegebedürftigkeit des Klägers nicht vorlägen. Der Zeitaufwand für die erforderlichen Verrichtungen betrage für die Körperpflege 12 Minuten, für die Ernährung 10 Minuten und für die Mobilität 11 Minuten. Das Aufsuchen der Atemtherapie erfolge regelmäßig einmal wöchentlich. Die Fahrt mit dem Auto betrage insgesamt ca. 60 Minuten für die Hin- und Rückfahrt, die Therapiezeit betrage 60 Minuten. Auf Wunsch der Therapeutin sei die Mutter bei den Maßnahmen zeitweise mit anwesend, wozu pro Therapie ein Zeitbedarf von ca. 20 Minuten zu veranschlagen sei, was einen Hilfebedarf im Tagesdurchschnitt von ca. 11 Minuten ergäbe.

Die Pflegemaßnahmen zur Schleim-Elimination hätten sich nicht verändert, seien aber nicht anrechenbar.

Nach Anhörung erließ das Sozialgericht Gerichtsbescheid vom 10.03.2010, mit dem es die Klage abwies. Zur Begründung stützte es sich auf die Ausführungen der Sachverständigen Dr.Sch.

Hiergegen hat der Kläger am 16.04.2010 Berufung eingelegt. Das Gericht habe keine Ausführungen zu einer Änderung der Verhältnisse gemacht.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 16.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2007 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10.03.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und begründet.

Der Bescheid vom 16.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2007, der wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse Pflegegeld mit ...

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