Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versorgung mit Cannabis-Arzneimittel. Anspruch auf Naturalleistung. Kostenerstattungsanspruch aufgrund einer Genehmigungsfiktion. formales Erfordernis. Vorliegen einer vertragsärztlichen (Betäubungsmittel-)Verordnung im Antragsverfahren. begründete Einschätzung des Vertragsarztes mit Auseinandersetzung anderer zur Verfügung stehender Therapien
Orientierungssatz
Das Fehlen einer vertragsärztlichen (Betäubungsmittel-)Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln im Antragsverfahren schließt den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 und damit einen Kostenerstattungsanspruch gem § 13 Abs 3a S 7 SGB 5 aus.
Leitsatz (amtlich)
1. Das Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung über die Versorgung mit Cannabisprodukten iSd § 31 Abs 6 S 1 SGB V steht einem Anspruch der Versicherten auf Naturalleistung entgegen.
2. Entsprechendes gilt für Kostenerstattungsansprüche aufgrund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 7 SGB V ein, da ohne vertragsärztliche Verordnung kein genehmigungsfähiger Antrag gegeben ist.
3. Die begründete Einschätzung des Vertragsarztes nach § 31 Abs 6 S 1 Buchst 1b SGB V muss eine Auseinandersetzung mit anderen zur Verfügung stehenden Therapien enthalten. Hierzu erforderlich ist jedenfalls eine vollständige Auflistung der beim Versicherten bestehenden Erkrankungen, die eine Verordnung von Cannabispräparaten möglicherweise als nicht indiziert erscheinen lassen, und eine qualifizierte Abwägung von Chancen und Risiken der beantragten Behandlung.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. April 2019 aufgehoben und die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 27. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2018 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten und die künftige Versorgung des Klägers mit Cannabisblüten.
Der 1964 geborene Kläger und Berufungsbeklagte beantragte am 23.01.2018 bei der Beklagten die Versorgung mit unzerkleinerten Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22.1. Beigefügt war ein vom Vertragsarzt Dr. D1 ausgefüllter Arztfragebogen, wonach THC zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung, chronischem Schmerzsyndrom und depressiver Störung verordnet werden solle. Hierbei handle es sich um eine schwerwiegende Erkrankung. Behandlungsziel sei die Reduzierung bzw. das Absetzen von Ibuprofen (dreimal tgl. 800 mg). Bislang sei regelmäßig manuelle Therapie, Osteopathie, Ernährungsumstellung und Gymnastik durchgeführt worden. Es gebe keine weiteren, allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsoptionen. Keine Angabe erfolgte unter Frage 5, welche anderen Erkrankungen gleichzeitig bestünden.
Ebenfalls beigefügt waren Berichte über stationäre Aufenthalte des Klägers in den Jahren 2010 und 2013 wegen komplexer posttraumatischer Belastungsstörung, rezidivierender depressiver Störung mittelgradige Episode, Wirbelsäulensyndrom und Adipositas. Der Kläger konsumiere seit dem 15. Lebensjahr Cannabis und weitere Drogen. Aus einem Bericht des Jahres 2013 geht die Diagnose einer COPD hervor. Der Rheumatologe Dr. R1 konnte bei einer Untersuchung 2013 keine entzündlich-rheumatische Erkrankung feststellen und sah die chronische Schmerzstörung als Manifestation der seelisch-psychischen Belastung und Suchterkrankung des Klägers. Empfohlen wurde durch die Praxis im Jahr 2017 die Anbindung an einen Schmerztherapeuten, ggf. auch Psychotherapeuten.
Die Beklagte teilte dem Kläger am 24.01.2018 mit, sie habe den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschaltet. Sobald die Stellungnahme vorliege, werde eine abschließende Rückmeldung erteilt. Am 05.03.2018 meldete sich der Kläger bei der Beklagten und bat wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen Genehmigungsfiktion um eine Rückmeldung, damit die Therapie begonnen werden könne.
Der MDK erstellte am 06.03.2018 ein sozialmedizinisches Gutachten, wonach der Kläger zwar an mehreren schwerwiegenden Erkrankungen leide, jedoch weitere Therapiealternativen zur Verfügung stünden. Die aktuelle Behandlung der Depression und der posttraumatischen Belastungsstörung könne nicht nachvollzogen werden. Es müsse davon ausgegangen werden, dass hierfür medikamentöse und psychotherapeutische Therapien zur Verfügung stünden. Auch hinsichtlich der Schmerzerkrankung gebe es Therapieoptionen, wie die Einbeziehung eines Schmerztherapeuten oder die Umstellung der Medikation. Es sei auch nicht plausibel begründet worden, dass mit der beantragten Therapie eine Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptome bestehe. Es gäbe vielmehr auch Risiken, so die Suchterkrankung in der Vorgeschichte und psychiatrische Erkrankungen mit unklarer Therapieanbindung.
In der Folge wies der Kläger mehrmals auf die seiner Meinung nach eingetretenen Genehmigu...