Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versorgung mit Cannabisblüten. Kostenerstattung. Genehmigungsfiktion. Notwendigkeit einer vertragsärztlichen Verordnung schon im Genehmigungsverfahren
Orientierungssatz
§ 31 Abs 6 S 2 SGB 5 beinhaltet die Notwendigkeit einer vertragsärztlichen (Betäubungsmittel)-Verordnung schon im Genehmigungsverfahren mit der Folge, dass ein fiktionsfähiger Antrag iSd § 13 Abs 3a SGB 5 nur dann gegeben ist, wenn Cannabis nicht nur privatärztlich, sondern auch vertragsärztlich verordnet und diese Verordnung der Krankenkasse zur Genehmigung vorgelegt wird. Dies ergibt sich sowohl aus Wortlaut und systematischem Zusammenhang sowie aus Sinn und Zweck der Regelung.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. November 2019 abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten und die künftige Versorgung der Klägerin mit Cannabisblüten.
Die 1973 geborene Klägerin und Berufungsklägerin beantragte am 19.07.2017 bei der Beklagten die Genehmigung einer Cannabisversorgung. Vorgelegt wurde ein standardisierter Arztfragebogen zu Cannabinoiden, auf dem der Internist M am 18.07.2017 angab, dass Cannabisblüten u.a. der Sorten Bedrocan , 50g/Monat, Sativexspray und Dronabinol zur Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms und chronischer spinaler Spastik beantragt würden. Es handle sich um eine schwerwiegende Erkrankung. Als weitere Erkrankungen bestünden eine Refluxkrankheit und eine funktionelle Pylorusstenose durch Morphinnebenwirkungen. Andere Therapien (wie z.B. Morphine) seien wegen Nebenwirkungen abgesetzt worden. Am 10.08.2017 vermerkte die Beklagte, dass nach Rücksprache mit der Arztpraxis nur Cannabisblüten der Sorte Bedrocan verordnet werden sollen.
Mit Schreiben vom 19.07.2017 teilte die Beklagte mit, sie werde eine Bewertung des MDK anfordern und der Klägerin anschließend eine Rückmeldung zukommen lassen. Nachdem der MDK zusätzliche Unterlagen erbeten hatte, übermittelte die Klägerin weitere Befunde, so einen Entlassungsbericht über eine stationäre multimodale schmerztherapeutische Behandlung im Jahre 2011, einen Befund des Anästhesisten M1 vom 24.11.2016 über eine chronische Schmerzkrankheit Stadium III nach Gerbershagen mit psychosozialen Begleitfaktoren sowie einen Bericht des Krankenhauses A1 vom 17.05.2017 über die Behandlung einer Pylorusstenose , aus dem u.a. hervorgeht, dass die seit 2013 zur Schmerzreduktion durchgeführte Opiatbehandlung die Magenerkrankung mitverursacht habe und daher zwingend eine Behandlung der Schmerzmittelabhängigkeit durch einen suchttherapeutischen Ansatz erfolgen solle.
Nachdem der MDK am 25.08.2017 mitgeteilt hatte, dass die vorgelegten Unterlagen unvollständig seien, gab die Beklagte gegenüber der Klägerin an, dass eine weitere Prüfung bis spätestens 16.10.2017 erfolgen werde. Mit Gutachten vom 25.10.2017 kam der MDK schließlich zum Ergebnis, dass zwar eine schwerwiegende Erkrankung im rechtlichen Sinn vorliege, aber die Behandlungsoptionen nicht ausgeschöpft seien. Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26.10.2017 den Antrag auf Versorgung mit Cannabis nach § 31 Abs. 6 SGB V ab.
Im Widerspruchsverfahren wurde darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin im Alltag nur schwer fortbewegen könne und auf einen Rollator angewiesen sei. Es lägen nachhaltige Nervenschädigungen vor. Eine myeline Polyneuropathie sei gesichert. Lediglich Cannabiswirkstoffe könnten eine nachhaltige Verbesserung bewirken. Der MDK nahm am 18.01.2018 erneut Stellung. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass die Klägerin mittlerweile die Opiateinnahme beendet und durch die Einnahme von Cannabinoiden ersetzt habe. Es sei demnach ein Suchtmittel durch ein anderes Suchtmittel ersetzt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb nicht vorrangig suchtmedizinische Maßnahmen im Rahmen eines schmerztherapeutischen multimodalen Gesamtkonzepts durchgeführt würden.
Dagegen wurde von Seiten der Klägerin ausgeführt, dass sie sich seit November 2017 um eine psychotherapeutische Behandlung bemühe, diese aber erst am 07.02.2018 habe begonnen werden können. Sie führe selbst regelmäßig und diszipliniert Krankengymnastik zu Hause durch. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen würden wohl 10 g Cannabis pro Monat völlig ausreichen. Vorgelegt wurde ein Befund vom 24.04.2018, mit dem das Neurozentrum A-Stadt einen Verdacht auf ADHS diagnostiziert hat. Unverändert bestünden Gangstörungen und das chronische Schmerzsyndrom.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar könne eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 SGB V nachvollzogen werden. Jedoch sei eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung wie eine schmerztherapeutische Behandlung im Rahmen eines multimodalen Gesam...