Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung. Ausschlusswirkung des § 275 Abs 1c SGB 5. zeitnahe Durchführung der Prüfung. Unzulässigkeit eines Zeitraumes von acht Monaten
Leitsatz (amtlich)
Wenn Abrechnungen der Krankenhäuser durch den MDK überprüft werden sollen, muss dies nach § 275 Abs 1c SGB 5 "zeitnah" erfolgen. Diesen unbestimmten Rechtsbegriff hat das Bayerische Landessozialgericht nunmehr konkretisiert. Vergeht ein Zeitraum von 8 Monaten ungenutzt, sind die Krankenhäuser auf Dauer berechtigt, die Herausgabe der Behandlungsakten zu verweigern.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 1. Dezember 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin und Berufungsbeklagte trägt die Kosten der Berufung.
III. Der Streitwert wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die klagende Krankenkasse verlangt vom beklagten Kreisklinikum Herausgabe der medizinischen Unterlagen eines Behandlungsfalles an den beigeladenen Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Bayern (MDK) im Rahmen einer Abrechnungsprüfung.
1.
Die Beklagte nahm das 1927 geborene - mittlerweile verstorbene - gesetzlich krankenversicherte Mitglied der Klägerin, Herr A. (H.L.), am 23.04.2007 stationär auf, um dessen multiple Erkrankungen zu behandeln. Am Montag, den 03.05.2007 wurde H.L. aus der stationären Behandlung wieder entlassen. Für die Behandlung vom 23.04.2007 bis 03.05.2007 stellte die Beklagte der Klägerin unter dem 24.05.2007 eine Schlussrechnung mit Fallprotokoll über insgesamt 3.244,17 EUR (zum näheren Inhalt wird auf Bl 11/12 der Klageakte Bezug genommen). Diesen Betrag überwies die Klägerin, behielt sich aber gleichzeitig mit Schreiben vom 05.06.2007 eine Rückforderung nach Rechnungsprüfung vor. Unter dem gleichen Datum beauftrage sie den Beigeladenen mit der Rechnungsprüfung ob die angegebenen Diagnosen sowie die angegebenen DRG, also die Kennung für die abzurechnende Krankenhausleistung, zutreffend seien, zumal H.L. am Folgetag mit anderer Diagnose wieder stationär aufgenommen worden sei. Der Beigeladene zeigte diesen Prüfantrag der Beklagten mit Schreiben vom 15.06.2007 an. Die Prüfung selbst fand in der Folgezeit nicht statt.
Mit Schreiben vom 04.02.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Abrechnungsprüfung im Falle des H.L. zeitnah hätte durchgeführt werden müssen. Weil aber mittlerweile mehr als sechs Monate abgelaufen seien, müsse die Prüfung abgelehnt werden, der Fall sei abgeschlossen.
2.
Dagegen hat die Klägerin am 03.03.2008 - ebenso wie in weiteren vier, hier nicht streitgegenständlichen parallel laufenden Abrechnungsfällen ohne Rechnungsprüfung binnen 6 Monaten - Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Beklagte lehne die angekündigte Untersuchung durch den Beigeladenen ab, so dass Stufenklage zunächst auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen an den Beigeladenen erhoben werden müsse. Der Beigeladene sei rechtzeitig mit der Prüfung beauftragt worden und habe rechtzeitig die Prüfung angekündigt, so dass Verjährung noch nicht eingetreten sei. Für ein Verweigerungsrecht nach Ablauf von sechs Monaten nach Prüfankündigung fehle es an jeglicher Grundlage.
Das Sozialgericht hat den vorliegenden Fall von den Parallelverfahren (dort ist mittlerweile eines erledigt nach Vorlage der Behandlungsunterlagen ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und Feststellung der ordnungsgemäßen Abrechnung durch den Beigeladenen) abgetrennt. In der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2010 hat das Sozialgericht weiter den vorliegenden Herausgabeanspruch vom Zahlungsanspruch abgetrennt und jenem ein eigenes Aktenzeichen zugewiesen. Mit Urteil vom gleichen Tage hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Herausgabe der Behandlungsunterlagen verurteilt im Wesentlichen mit der Begründung, eine gesetzliche Ausschlussfrist wie von der Klägerin geltend gemacht, bestehe nicht.
3.
Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt weil gesetzlich eine Rechnungsprüfung zwingend "zeitnah" durchzuführen sei, was aber vorliegend nicht geschehen sei. "Zeitnah" sei entsprechend den Vorschriften des Krankenhausentgeltgesetzes sowie den Grundsätzen der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung mit maximal sechs Monaten festzulegen. Diese Frist sei verstrichen. Ein eventuelles Verschulden des Beigeladenen müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.
Die Klägerin hat erwidert, dass ihr nach wie vor ein Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen des H.L. an den Beigeladenen zustehe. Sie sei als Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet, die Abrechnungen der Leistungserbringer zu überprüfen und sich dabei des Beigeladenen zu bedienen. Die Grenzen der Mitwirkungspflichten seien ebenso wenig überschritten wie die Grenzen der "Zeitnähe". Im Übrigen habe sich die Klägerin eine länger andauernde Begutachtungszeit des Beigelad...