Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsfähigkeit. Leistungsfall. Pflichtbeiträge. Bosnien-Herzegowina. Beweis
Leitsatz (redaktionell)
Bei Prüfung der Erwerbsfähigkeit kommt der tatsächlichen Arbeitsleistung i.d.R. ein stärkerer Beweiswert zu als den medizinischen Befunden. Dies gilt erst recht, wenn die medizinischen Befunde nicht sicher feststehen.
Normenkette
SGB VI § 43
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der im Jahre 1948 geborene Kläger, ein Staatsbürger Bosnien-Herzegowinas mit Wohnsitz in seinem Heimatland, stand im ehemaligen Jugoslawien von Juni 1971 bis November 1992 in einem Beschäftigungsverhältnis. Den erlernten Beruf eines Bergmannes übte er nie aus, vielmehr war er durchgehend als Tankwart beschäftigt, laut einem Vermerk des Gesundheitshauses T. (örtliche ärztliche Ambulanz) vom 25.05.1999 zuletzt zwei Jahre als Referent für Warentransit aufgrund einer internen Absprache. Die größte Zeit des Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina hielt sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) auf. Er war vom 25.01.1993 bis 22.11.1996 als Hilfsarbeiter an der Sortieranlage einer Papierfabrik, die hartes und weiches Papier zur Wiederverwertung trennte, versicherungspflichtig beschäftigt.
Nach Rückkehr in sein Heimatland war er vom 01.01.1997 bis 05.12.2001 arbeitslos (ohne Leistungsbezüge) gemeldet und nur noch vom 01.02. bis 15.02.1999 berufstätig. Seit dem 05.12.2001 bezieht er eine Invalidenrente der Kategorie I nach bosnischem Recht.
Den über die bosnische Verbindungsstelle bei der Beklagten am 14.03.2002 gestellten Antrag auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung lehnte letztere mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23.04.2002 ab, weil der Kläger - ausgehend vom Antragsdatum - in den letzten fünf Jahren (14.03.1997 bis 13.03.2002) nur über einen Pflichtbeitrag im Februar 1999 anstelle der gesetzlichen Mindestzahl von 36 Pflichtbeiträgen verfüge und daher die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Berentung wegen Erwerbsminderung nicht erfülle (§ 43 Sozialgesetzbuch Teil VI - SGB VI). Auch die Ausnahme hierzu, die lückenlose Belegung aller Kalendermonate ab 01.01.1984 mit Pflichtbeiträgen, freiwilligen Beiträgen oder sonstigen Anwartschaftserhaltungszeiten, läge wegen der offensichtlichen Lücken im Erwerbsleben des Klägers nicht vor.
Nicht mehr zur Auswertung kam das Gutachten der Invalidenkommission S. vom 05.12.2001 (Diagnosen: depressive Störung, Angina pectoris, arterieller Bluthochdruck, kompensierte chronische hypertensive Myocardiopathie und chronische Bronchitis; Beurteilung: auf Dauer im bisherigen Beruf und in Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeitsunfähig, Leistungsvermögen unter zwei Stunden täglich ab 05.12.2001) mit beiliegenden Befunden einer stationären Untersuchung (erster Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik T. vom 28.06. bis 19.07.2001) und mehreren ambulanten Untersuchungen von Juli bis Dezember 2001.
Mit dem gegen den Ablehnungsbescheid eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er bereits im Zeitraum von 1985 bis 1989 invalide geworden sei und seit 1988 bzw. seit 1992 auch nicht mehr leichte Arbeiten zwei Stunden täglich habe verrichten können. Er legt hierzu Krankenhausberichte über eine Bruch-Operation vom 09. bis 17.12.1985 und über eine stationäre Behandlung wegen symptomatischer Kopfschmerzen vom 31.10. bis 08.11.1988 (nach Inhalt des Berichts sollte in einem B. Institut die Bleikonzentration untersucht werden) vor, weiterhin Untersuchungsbefunde von März bis Mai 1999 mit Hinweisen auf eine Bleivergiftung im Jahre 1988 und auf im Februar 1999 festgestellte Bandscheibenschäden bei L3/L4 und L4/L5 mit chronischem Wurzelschaden bei L5/S1.
Der bosnische Rentenversicherungsträger übersandte der Beklagten, die den Kläger nach Aktenlage nach wie vor für nicht erwerbsgemindert hielt, weitere ärztliche Untersuchungsberichte für die Zeit ab 14.06.2001 über Affektivitätsstörung, depressive Störung und zeitweilige suizidale Psychose bzw. psychotische Episoden, woraus ein Dipl.-Psychologe in seinem "Befund und Gutachten vom 02.09.2002" ein chronifiziertes PTSP-Syndrom wegen "traumatischer Erfahrungen aus dem Krieg wie auch wegen Verlustes des Arbeitsplatzes" ableitete (Störung der kognitiven Funktionen und der interpersonalen Kommunikationen mit sensitiv-depressivem Betragen, ausgeprägtem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit sowie mit aggressiven Tendenzen und Neigung zur paranoider Verarbeitung der Erlebnisse). Die Diagnose des PTSP-Syndroms übernahmen die Ärzte der Psychiatrischen Klinik T. in ihrem Bericht zur zweiten stationären Behandlung des Klägers vom 26.08. bis 12.09.2002 wegen "depressiver Störung mit psychotischen Symptomen, nach Klinikaufenthalt gebessert" nicht, obwohl sie in Bezug auf anamnestische Angaben (chronisc...