Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Postbariatrische Straffungsoperation wegen fiktiver Genehmigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die fingierte Genehmigung nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V kann als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung qualifiziert werden, da sie in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen zeitigt.
2. Für die Rücknahme einer fingierten Genehmigung gilt die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X, welche nach Einschaltung des MDK bei Erlass des Bescheides, spätestens aber des Widerspruchsbescheides zu Laufen beginnt.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.09.2016 wird zurückgewiesen.
II. Der Bescheid vom 07.12.2016 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 25.04.2017 wird aufgehoben.
III. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch für die Berufung von der Beklagten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind Kostenerstattung und Naturalleistungen auf dem Gebiet der post-bariatrischen Straffungsoperationen.
1. Die 1966 geborene Klägerin führte im April 2012 zu Lasten der Beklagten eine magenverkleinerte Sleeve-Gastrektomie durch und verlor bis Mitte 2013 ca. 50 Kilo an Gewicht. Mit Antrag vom 01.09.2013, eingegangen am 03.09.2013, beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage von Attesten (D.-Krankenhaus W-Stadt vom 12.06.2013, Allgemeinmediziner Dr. K. vom 14.06.2013, Gynäkologin Dr. A. vom 05.08.2013, L. M-Stadt vom 10.09.2012, 23.10.2012 und 26.06.2013) sowie Fotodokumentation wegen massiver Hautüberschüsse und Bildung von Ekzemen und Hautmykosen die Kostenübernahme für vier Straffungsoperationen (zirkuläre Dermofettresektion, Oberarmrekonstruktion, Bruststraffung, Oberschenkelrekonstruktion). Mit Bescheid vom 25.09.2013 bewilligte die Beklagte nach Stellungnahme durch den MDK vom 12.09.2013 eine Faszienduplikatur mit Nabelinsertion und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Auf Widerspruch der Klägerin mit der Begründung der medizinischen Notwendigkeit aufgrund körperlicher Beschwerden und Entstellung schaltete die Beklagte erneut den MDK ein. Dieser diagnostizierte eine lokalisierte Adipositas und bestätigte die funktionellen Beeinträchtigungen durch die Bauchwanddeckenschürze. Im Übrigen könne das Krankheitsbild an Brüsten, Armen und Beinen konservativ behandelt werden. Es bestehe keine medizinische Indikation für die beantragten Maßnahmen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2014 zurückgewiesen.
2. Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Das Gericht hat ein Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. L. eingeholt. Nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am 26.06.2014 ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, die beantragten Maßnahmen seien nicht medizinisch indiziert. Das Gutachten ist dem Prozessbevollmächtigen der Klägerin mit Schreiben vom 15.07.2014 zugesandt worden.
Am 22.07.2014 hat die Klägerin die von der Beklagten genehmigte Operation sowie die mit Bescheid vom 25.09.2013 abgelehnte Dermofettresektion (zur Gesäßstraffung) in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenkenhaus (D.-Krankenhaus W-Stadt, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität B.) durchgeführt. Für letzteren Eingriff hat die Klägerin bereits im Vorfeld der Operation 4.767,14 € zur Begleichung einer mit Chefarzt Dr. R. abgeschlossenen Honorarvereinbarung überwiesen (Zahlungseingang per Überweisung am 09.07.2014).
Der auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG beauftragte Sachverständige Dr. Z., Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Chirurgie und Handchirurgie, hat in seinem Gutachten vom 17.07.2015 im Wesentlichen das Ergebnis von Dr. L. bestätigt, eine Oberarmstraffung hat er für medizinisch sinnvoll erachtet. Der MDK hat in einem weiteren Gutachten die medizinische Indikation insgesamt verneint.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 01.09.2016 mit der Begründung des Eintritts der Genehmigungsfiktion mit Ablauf des 24.09.2013 stattgegeben und die Beklagte zur Kostenerstattung in Höhe von 4.767,14 € sowie zur Naturalleistungspflicht hinsichtlich der beantragten Operationen von Oberarmen, Brust und Oberschenkeln verurteilt.
3. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, die Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten, da der Klägerin hätte klar sein müssen, dass es sich um kosmetische Operationen handelte. Die selbstbeschaffte Operation (Dermofettresektion) sei unmittelbar nach der Begutachtung durch Dr. L. durchgeführt worden. Dies zeige, dass die Klägerin "im Schnellverfahren" vollendete Tatsachen schaffen wollte. § 13 Abs.3a S. 7 SGB V stelle auf die Erforderlichkeit der Leistungen zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung ab. Dazu sei durch Befragung des Sachverständigen Dr. L. zu ermitteln, ob dieser der Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung (26.06.2014) das Gutachtensergebnis mitgeteilt hat. Sollte die Genehmigungsfi...