Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Hinzuverdienst. Berücksichtigung familienbezogener Entgeltbestandteile
Leitsatz (amtlich)
Der Entgeltbegriff des § 14 SGB IV bietet keinen Anhalt, familienbezogene Entgeltbestandteile nicht als Arbeitsentgelt einzuordnen.
Orientierungssatz
1. Zum rentenversicherungsrechtlich zu berücksichtigenden Bruttoverdienst gehört auch die vom Arbeitgeber gezahlte Zulage "Besitzstand Kinderanteil" (entgegen BSG vom 23.8.2005 - B 4 RA 29/04 R = SozR 4-2600 § 313 Nr 4). Sie ist daher auch im Rahmen der Prüfung der Einhaltung der Hinzuverdienstgrenzen nach § 96a SGB 6 zu berücksichtigen (vgl LSG Celle-Bremen vom 27.1.2010 - L 1 R 92/09 sowie LSG Chemnitz vom 11.5.2009 - L 7 R 11/07).
2. Zum Leitsatz vgl BSG vom 23.8.2005 - B 4 RA 29/04 R aaO.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Instanzen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Anrechnung von Einkommen in der Zeit vom 01.01.2015 bis 30.06.2016 (teilweise) aufgehoben und von der Klägerin überzahlte Rente in Höhe von 2.442,08 € zurückgefordert hat.
Die 1966 geborene Klägerin hat eine Ausbildung als Arzthelferin und später eine Qualifikation zur Krankenschwester absolviert. Zuletzt war sie ab dem 01.07.2011 als Arzthelferin im L.-Krankenhaus in S-Stadt versicherungspflichtig beschäftigt. Ein erster Rentenantrag vom 24.01.2011 war erfolglos (Bescheid vom 13.05.2011, Widerspruchsbescheid vom 11.11.2011).
Auf ihren Antrag vom 21.02.2014 wurde der Klägerin mit Bescheid vom 03.12.2014 unter Annahme eines Leistungsfalles mit Antragstellung Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.09.2014 bis 28.02.2017 bewilligt. In dem Bescheid wurde ausgeführt, dass die Rente wegen Hinzuverdienstes nicht gezahlt werde. Als Hinzuverdienst der Klägerin werde ab 01.09.2014 ein Arbeitsentgelt in Höhe von monatlich 1.515,81 € angerechnet. Die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in Höhe der Hälfte betrage 1.439,16 €. Damit sei die Rente nicht zu zahlen. Zwar werde die Hinzuverdienstgrenze ab dem 01.01.2015 auf 1.475,59 € angehoben, der Verdienst der Klägerin liege aber gleichwohl über dieser Grenze. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben ohne Datum, eingegangen bei der Beklagten am 12.03.2015, teilte die Klägerin mit, dass sie ab dem 01.03.2015 von ihrem Arbeitgeber einen geänderten Arbeitsvertrag erhalten habe, der es ihr ermögliche, Rentenzahlungen zu erhalten. Sie arbeite nun 15 Wochenstunden. Dies reduziere ihr Bruttogehalt und sie falle unter die Hinzuverdienstgrenze. Sie bitte, die Rente neu zu berechnen und hierzu eine Verdienstbescheinigung vom Arbeitgeber anzufordern.
Die Beklagte holte vom Arbeitgeber der Klägerin eine Erklärung zur Höhe des Arbeitsverdienstes ein. Unter dem 21.04.2015 wurde vom Arbeitgeber ab dem 01.03.2015 ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.210,39 € angegeben. Die Frage nach im Bruttoarbeitsentgelt enthaltenem einmaligem Arbeitsentgelt wurde verneint, ebenso die Frage nach einer Mehrarbeitsvergütung. Das künftige Arbeitsentgelt betrage monatlich ebenfalls 1.210,39 €. Im Monat November 2015 sei zusätzlich ein Verdienst in Höhe von 1.087,02 € wegen einer Einmalzahlung zu erwarten. Der Beschäftigungsort liege in den alten Bundesländern.
Die Beklagte berechnete daraufhin die Rente der Klägerin neu und bewilligte ihr mit Bescheid vom 27.04.2015 ab dem 01.05.2015 eine laufende monatliche Rente in Höhe von 536,43 € sowie eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.03.2015 bis 30.04.2015 in Höhe von 1.072,86 €. Dabei waren in Anlage 19 des Bescheides die für die Zeit ab 01.03.2015 relevanten Hinzuverdienstgrenzen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgelistet, für eine Rente in voller Höhe die Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10 € monatlich. In Anlage 21 des Bescheids war festgestellt, dass der Hinzuverdienst der Klägerin in Höhe von 1.210,39 € die Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10 € nicht überschreite. Der Klägerin stehe deshalb die Rente in voller Höhe zu.
Im Rahmen einer Überprüfung der Rentenberechtigung wegen des Hinzuverdienstes der Klägerin durch die Beklagte teilte der Arbeitgeber der Klägerin unter dem 11.03.2016 mit, dass die Klägerin eine monatliches "SV-Brutto" in Höhe von 1.183,22 € zukünftig erhalten werde.
Einmalzahlungen seien für November 2015 in Höhe von 1.087,02 € und für November 2016 in Höhe von ca. 1.100,00 € zu erwarten. Für die Zeit ab 01/2015 gab der Arbeitgeber folgende Zahlungen an, bezeichnet als "SV-Brutto":
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01/2015 |
1.548,39 € |
02/2015 |
1.540,31 € |
03/2015 |
1.227,29 € |
04/2015 |
1.227,29 € |
05/2015 |
1.227,29 € |
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