Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. keine Befreiung eines kinderlosen Beschäftigten in einer Behindertenwerkstatt von der Zahlung des Beitragszuschlags für Kinderlose nach § 55 Abs 3 S 1 SGB 11. Bezieher von Arbeitslosengeld II. Wehr- und Zivildienstleistende. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Aus der Bestimmung des § 55 Abs 3 S 7 SGB 11 kann für die kinderlosen Beschäftigten in Behindertenwerkstätten nicht abgeleitet werden, dass sie ebenso wie Wehr- und Zivildienstleistende oder Bezieher von Arbeitslosengeld II vom Beitragszuschlag nach § 55 Abs 3 S 1 SGB 11 befreit sind. Denn für eine Ausnahmeregelung kann es keine Ausdehnung auf andere als die genannten Gruppen geben. Im übrigen sind die Bestimmungen der §§ 55ff SGB 11 als lex specialis zum Beitragszuschuss und zur Beitragsverpflichtung in der Pflegeversicherung anzusehen, wobei diese Bestimmungen dann auf die grundsätzliche Verpflichtung zur Beitragszahlung und die Regelungen des achten Kapitels vierter Titel (§§ 249ff) SGB 5 verweisen und damit klarstellen, dass die dort getroffenen Regelungen auch im Zusammenhang mit den Beiträgen zur Pflegeversicherung einschließlich des Beitragszuschusses für Kinderlose gelten. Daraus allein ergibt sich bereits die Beitragspflicht des kinderlosen Beschäftigten in einer Behindertenwerkstatt.

2. Da es sich bei den in § 55 Abs 3 S 7 SGB 11 genannten Gruppen für die Ausnahme von der Pflicht zum Beitragszuschlag um mit den Beschäftigten in einer Werkstatt für Behinderte nicht vergleichbare Personengruppen handelt, ist die Regelung mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. März 2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung des Beitragsanteils von 0,25 v. H., den der Kläger als kinderloser Beschäftigter in einer Behindertenwerkstatt nach § 55 Abs. 3 S. 1 SGB XI in Höhe von 1,21 Euro monatlich für die Zeit vom 1. Januar 2005 und 1,22 Euro monatlich ab 1. Januar 2007 als Eigenanteil zur Pflegeversicherung entrichten musste. Hilfsweise wurde beantragt, den beigeladenen Bezirk Oberbayern zu verurteilen, die Kosten des Beitragszuschlags dem Kläger zu gewähren (ein Verfahren des Klägers gegen den Bezirk wegen Übernahme der Beitragszuschläge nach § 55 Abs. 3 SGB XI ist am Sozialgericht (Az.: S 10 SO 4/08) anhängig, ruht jedoch.

Der ... 1970 geborene Kläger ist in der Werkstätte für behinderte Menschen in H (WfbM) beschäftigt. Er beantragte durch seinen als Betreuer bestellten Vater mit Schreiben vom 8. Oktober 2005 bei der AOK Bayern Pflegekasse, die Erstattung der von seinem monatlichen Werkstattlohn in Höhe von 76,87 Euro einbehaltenen Beiträge als Kinderloser zur Pflegeversicherung. Nach der vorgelegten Mitteilung der Lebensgemeinschaft Höhenberg, die sich dabei auf das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung beruft, ist der Beitragszuschlag auch für versicherungspflichtige Menschen, die in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte tätig sind, zu entrichten und zwar aus dem Einkommen des Beschäftigten selbst gemäß § 59 Abs. 3 SGB XI.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2005, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 23. Dezember 2005, teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Erstattung nicht in Betracht komme, da der Beitragszuschlag rechtmäßig erhoben werde und auch von ihm selbst zu tragen sei.

Dagegen richtet sich die mit Schreiben vom 5. Januar 2006, eingegangen am 9. Januar 2006 zum Sozialgericht Landshut erhobene Klage. Die zunächst gegen die Pflegeversicherung gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht als Streitsache gegen die zuständige Krankenkasse als Einzugsstelle behandelt. Der Kläger hat diese Klageänderung beantragt.

Zur Begründung wurde vorgetragen, der Kläger erhalte nur ein monatliches Arbeitsentgelt von 76,87 Euro und überschreite damit nicht den nach § 235 Abs. 3 SGB V maßgeblichen Mindestbetrag. Daher müsse entgegen der Auffassung der Werkstatt und der Beklagten von ihm der Beitragszuschlag des § 55 Abs. 3 SGB XI nach § 59 Abs. 5 SGB XI nicht entrichtet werden. Der Kläger habe die Beiträge zur Pflegeversicherung nicht selbst zu tragen, diese seien vielmehr von der Werkstatt für Behinderte aus dem Arbeitsergebnis zu entrichten und vom Bezirk Oberbayern als zuständigem Kostenträger zu erstatten. Dies gelte auch für den Beitragszuschlag für Kinderlose, auch wenn § 59 Abs. 5 SGB XI bestimme, dass der Zuschlag vom Mitglied selbst zu tragen sei. Diese Norm sei gegenüber der spezialgesetzlichen Regelung für die in Werkstätten für Behinderte Tätigen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 SGB XI i. V. m. §§ 250, 251 SGB V) subsidiär. Zu begründen sei dies damit, dass nach § 55 SGB XI Wehrpflichtige, Zivildienstleistende und Alg II-Empfänger wegen ihres niedrigen Einkommens mit dem Beitragszuschlag für Kinderlose nicht belastet würden. Es gebe keine sachlichen, mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbarenden Gründ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge