Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütung von Krankentransportleistungen. ambulante Behandlung. freie Arztwahl. nächsterreichbarer Arzt. zwingender Grund. besonderes Vertrauensverhältnis zu einem Arzt. Erstattung von Fahrtkosten
Orientierungssatz
1. Ein besonderes Vertrauensverhältnis kann zwar vorübergehend ein zwingender Grund iS des § 76 Abs 2 SGB 5 sein, dem Versicherten ist es jedoch zuzumuten, sich in vertretbarer Zeit auf die Behandlung durch einen Arzt in seiner Nähe umzustellen.
2. Von einer Störung des Vertrauensverhältnisses zu einem Arzt kann nicht die Rede sein, wenn ein Vertragsarzt spezielle Behandlungswünsche nicht erfüllt oder wenn Unzufriedenheit mit der Behandlung zum Ausdruck gebracht wird.
Normenkette
SGB V § 76 Abs. 2, § 60 Abs. 1 S. 3; SGB X § 34 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung bzw. weitere Übernahme von Fahrtkosten zur ambulanten ärztlichen Behandlung des Klägers seit dem 01.09.2010.
Der 1933 geborene Kläger (GdB 90) ist aufgrund seiner Erkrankungen bei einer Vielzahl von Ärzten in Behandlung. Die Übernahme von Fahrtkosten war schon in der Vergangenheit zwischen den Beteiligten strittig. Am 03.08.2010 war für den Zeitraum bis 31.08.2010 ein gerichtlicher Vergleich am Sozialgericht Nürnberg (SG) geschlossen worden, wonach die Beklagte die Fahrtkosten nach den geltenden Vertragssätzen übernimmt und sich der Kläger seinerseits verpflichtete, gegenüber der Beklagten schriftlich die Bedenken gegen die von der Beklagten genannten nächst erreichbaren Behandler mitzuteilen. Seine Einwände legte der Kläger mit Schreiben vom 14.09.2010 im Einzelnen dar:
- Allgemeinarzt Dr. K.: Es bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Arzt Dr. S., der ihm schon mehrmals in einer Notlage geholfen habe. Dr. K. mache keine Hausbesuche.
- Orthopädin Dr. L.: Sie habe auf den Kläger einen äußerst schlechten Eindruck gemacht, so dass kein Vertrauen bestehe.
- HNO-Arzt Dr. F.: Eine frühere Behandlung bei ihm sei fehlgeschlagen. Eine von ihm veranlasste Bestrahlung habe einen Kreislaufzusammenbruch des Klägers bewirkt. Es bestehe daher kein Vertrauen.
- Augenarzt Dr. V.: Die Vergabe von Terminen erfolge erst nach ca. zwei Monaten. Die Praxis sei schlecht ausgestattet, da er keine Laserbehandlung durchführen könne. Der Arzt habe bereits einmal eine falsche Brille aufgeschrieben und eine Augenallergie nicht diagnostiziert; es bestehe daher kein Vertrauensverhältnis.
- Urologe Dr. A.: Es bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Dr. Dr. C. Ein Wechsel sei daher nicht zumutbar.
- Neurologe/Psychotherapeut Dr. G.: Es bestehe besonderes Vertrauensverhältnis zu Dr. D.
- Internist Dr. G.: Es bestehe besonderes Vertrauensverhältnis zu Dr. K., der den Kläger bereits seit 14 Jahren behandle. Der Kläger könne Dr. G. nicht verstehen, da es dieser ablehne, hochdeutsch zu sprechen.
- Hautarzt Dr. T.: Es bestehe ein langjähriges Vertrauensverhältnis zu Dr. K.
- Hörgerätestudio E.: Dieses verfüge über keinen Aufzug.
- Zahnarzt H. S.: Es bestehe ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zu Drs. S. und P. und fachliche Bedenken gegenüber Herrn S.
Fahrtkosten würden auch für Besuche beim Hörgeräteakustiker beantragt werden. Der Kläger sei schwerbehindert, schwer krank und brauche eine Begleitperson. Es bestünden die Merkzeichen aG und B. Auch sei der Kläger mental nicht mehr in der Lage, sich auf neue Ärzte einzustellen. Mit streitigem Bescheid vom 30.09.2010 setzte sich die Beklagte mit dem Vortrag des Klägers auseinander und gelangte zum Ergebnis, dass mit Ausnahme der psychotherapeutischen Behandlung (Dr. G./Dr. D.) Kosten zu den vom Kläger bevorzugten Ärzten nicht übernommen werden könnten, da ein bestehendes Vertrauensverhältnis zwar nachvollziehbar sei, jedoch keine ausreichende Begründung für eine Übernahme der Mehrkosten darstelle. Der Kläger könne selbstverständlich im Rahmen der freien Arztwahl die Behandlung fortsetzen, müsse jedoch die zusätzlichen Fahrtkosten selbst tragen. Für Besuche zum Hörgeräteakustiker könnten generell keine Fahrtkosten übernommen werden. Dieses Ergebnis wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2010 bestätigt.
Im Klageverfahren am SG trug der Kläger vor, dass er zum 01.01.2009 zur Beklagten gewechselt sei, weil diese ihm zugesagt habe, auch die Fahrtkosten zu seinen Ärzten zu übernehmen. Die Beklagte habe in ihrer Werbebroschüre auch ausdrücklich auf die freie Arztwahl ihrer Versicherten hingewiesen. An diese Zusage sei die Beklagte gebunden. Eine Entscheidung sei für den Kläger (und seine Ehefrau) existenznotwendig, da die Beklagte sämtliche Fahrtkostenabrechnungen stetig kürze und mittlerweile schon eine Vielzahl von Widerspruchsverfahren anhängig sei. Auch seien der Kläger und seine F...