Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Differenzbetragsregelung. keine Anwendung auf Nachforderungen wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln bei Ausschluss der Verordnungsfähigkeit. teleologische Reduktion
Orientierungssatz
Die Differenzbetragsregelung des § 106b Abs 2a SGB 5 ist nicht dahingehend auszulegen, dass diese auf sämtliche Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise und damit auch auf Nachforderungen wegen unzulässiger Verordnungen anzuwenden ist.
Leitsatz (amtlich)
Im Wege der teleologischen Reduktion ist § 106b Abs 2a S 1 SGB V für die Fallgruppe unzulässiger Verordnungen von Arzneimitteln bei Ausschluss der Verordnungsfähigkeit nicht anwendbar.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Juni 2022 (S 38 KA 145/21 - nach Verbindung) sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.07.2021 und 18.08.2021 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, erneut über die Anträge der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
II. Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2) tragen die Beklagte und die Beigeladene zu 1) je zur Hälfte.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit einem Verordnungsregress darüber, ob die in § 106b Abs. 2a SGB V vorgesehene Differenzberechnung auch auf Nachforderungen wegen nichtverordnungsfähigen Arzneimitteln Anwendung findet.
1. Mit Bescheid vom 14.07.2021 setzte die Beklagte auf Antrag der Klägerin bei der Beigeladenen zu 1) für das Quartal 3/2019 im Rahmen einer Prüfung nach § 27 Prüfungsvereinbarung (PV) einen Nachforderungsbetrag in Höhe von 197,64 € wegen unzulässig verordneter Arzneimittel fest. Dem lagen Verordnungen der Arzneimittel Spasmo Mucosolvan Saft sowie Mucospas Saft in Höhe von 265,68 € zugrunde. Zur Begründung wurde ausgeführt, diese Arzneimittel seien nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Unter Verweis auf §106b Abs. 2a SGB V führte die Beklagte aus, bei der Berechnung der Rückforderung sei jedoch eine Kostendifferenz zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten Leistung zu berücksichtigen. Für die Berücksichtigung der Kostendifferenz habe die antragstellende Krankenkasse im Prüfantrag die wirtschaftliche Leistung bzw. die durchschnittlichen wirtschaftlichen Verordnungskosten nicht benannt. Deshalb lege die Prüfungsstelle die für die Berücksichtigung der Kostendifferenz zugrunde zu legende wirtschaftliche Leistung fest. Die Beklagte rechnete sodann 68,04 € als wirtschaftliche Alternativmedikation gegen. Bei der Berechnung des Differenzschadens werde in Anlehnung an den Rahmenvertrag gemäß § 129 Abs. 2 SGB V, § 12 Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung, der Durchschnitt der vier im Preis günstigsten, wirkstoffgleichen Alternativen, soweit vorhanden und zulässig, gegengerechnet (hier Ambroxol 30 mg/5 ml Saft mit einem anzurechnenden Nettobetrag in Höhe von 3,78 €/Verordnung x 18).
Die von der Klägerin, einer gesetzlichen Krankenkasse, zum Sozialgericht München erhobene Klage (S 38 KA 145/21) richtet sich nur insoweit gegen die Entscheidung der Beklagten, als diese bei unzulässigen Verordnungen die Differenzregelung des § 106b Abs. 2a SGB V angewandt hat.
Zur Begründung wird vorgetragen, die Differenzberechnung nach dieser Vorschrift sei nicht auf die Verordnung von Arzneimitteln, die von vorneherein unzulässig sind, anzuwenden. Das zeige bereits der Wortlaut der Norm, denn nicht verordnungsfähige, also unzulässige Arzneimittel könnten niemals "wirtschaftlich(er)" sein (vgl. Ladurner, ZMGR 2019, 127 mwN). Das Vergleichspaar könne nur aus im GKV-System verordnungsfähigen Arzneimitteln bestehen, die sich lediglich im Preis unterschieden. Da unzulässige Verordnungen zu einem Schaden des Kostenträgers führten, sei auch kein Raum für die Ausübung eines Ermessens. Der im zivilen Schadensrecht geltende Grundsatz des Vorteilsausgleichs sei nicht anzuwenden. Auch die Gesetzesbegründung stelle gerade darauf ab, dass sich die Differenzberechnung aus dem Mehrbetrag ergebe, der nach Abzug der ärztlich verordnungsfähigen Leistungen zulasten des Kostenträgers verbleibe. Dies setze eine gleichartige verordnungsfähige Leistung voraus, z. B. ein Generikum anstelle eines Originalpräparats. In diesen Fällen werde die Therapieentscheidung des Arztes nicht angetastet. Bei nicht zugelassenen Arzneimitteln könne eine solche Umsetzung nicht erfolgen, ohne die Therapieentscheidung des Arztes dergestalt zu ändern, dass sie durch eigene Mutmaßung der Prüfungsstelle ersetzt würde. Zudem würden, folge man der Rechtsauffassung im angefochtenen Bescheid, sämtliche gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen, wonach bestimmte Leistungen ausdrücklich von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind, ins Leere gehen, sofern bei Verstöße...