Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes. erhebliche Unbilligkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die (Neu )Feststellung eines Jahresarbeitsverdienstes stellt mangels unmittelbarer Rechtswirkung nach außen keinen Verwaltungsakt dar und kann deshalb nicht mit einer isolierten Verpflichtungsklage eingeklagt werden.

2. Zur Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes, hier für das Jahr 1951.

3. Zu den Anpassungen des Jahresarbeitsverdienstes ab 1951.

4. Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf eine höhere Verletztenrente wegen Unbilligkeit des Jahresarbeitsverdienstes.

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII (01.01.1997) eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals oder aufgrund des § 90 SGB VII neu festgesetzt wird.

2. Die Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes ist nicht in erheblichem Maße unbillig, wenn der ermittelte Jahresarbeitsverdienst den Fähigkeiten, der Ausbildung, Lebensstellung und Tätigkeit des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls entspricht.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.02.2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aufgrund eines Überprüfungsantrages einen Anspruch auf höhere Verletztenrente aufgrund Feststellung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes (JAV) hat.

Der 1929 geborene Kläger war nach Abschluss seiner Dreherlehre (Gesellenbrief vom 19.11.1947) seit 1947 als Dreher in einer Maschinenfabrik tätig, als er am 25.01.1951 einen Unfall erlitt.

Am Unfalltag ging der Kläger zu einem Kollegen, der am Schleifband arbeitete, um die Bearbeitung von Werkstücken abzuklären. Während des Gesprächs griff er in die Hosentasche, um ein Taschentuch herauszuholen und zog versehentlich eine Spritze mit Lichtblitzpulver mit heraus, die er als leidenschaftlicher Fotograf bei sich hatte. Vom Schleifband sprang ein Funke über und entzündete das Blitzlichtpulver, so dass die Dose detonierte. Der Kläger verlor an der rechten Hand den kleinen Finger und den Ringfinger vollständig sowie Teile des Mittelfingers und erlitt mehrfache Brüche der Mittelhandknochen rechts.

Nach dem Unfall war der Kläger bis 31.07.1951 arbeitsunfähig. Anschließend war er nach den vorgelegten Zeugnissen ab 01.08.1951 bis 11.08.1953 als Maschinenmonteur und Maschinenschlosser und vom 12.08.1953 bis 23.12.1953 als Obermonteur beschäftigt. Auf den Versicherungsverlauf vom 12.01.2005 und die Angaben des Klägers im Fragebogen vom 02.08.1986 wird Bezug genommen. Danach bestanden Zeiten der Arbeitslosigkeit vom 29.12.53-14.06.54, vom 15.07.-13.09.54 und vom 01.11.-30.11.56. Ansonsten war der Kläger bis September 1956 abhängig beschäftigt bzw. seit 01.10.1956 selbstständiger Strumpffabrikant als Inhaber der A. KG bzw. Geschäftsführer einer entsprechenden GmbH.

Die Anträge des Klägers auf Anerkennung des Arbeitsunfalls hatten zunächst keinen Erfolg.

Die Ablehnung der Anerkennung eines Arbeitsunfalls der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden ebenfalls bezeichnet als Beklagte) mit Bescheid vom 20.07.1951 wurde nach Zeugeneinvernahme vom Bayerischen Oberversicherungsamt Landshut im Urteil vom 06.05.1953 bestätigt, weil sich eine selbstgeschaffene Gefahr durch Mitführen der Pulverspritze zu privaten Zwecken realisiert habe und kein innerer ursächlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit bestanden habe.

Ein Überprüfungsantrag vom August 1999 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 28.03.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12.07.2000 abgelehnt. Klage und Berufung (Berufungsurteil vom 16.01.2002, Az. L 2 U 40/01) sowie die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG (Beschluss vom 30.04.2002, Az. B 2 U 76/02) blieben erfolglos.

Mit Schreiben vom August 2002 stellte der Kläger erneut Überprüfungsantrag, denn es sei nicht geprüft worden, dass kein Schutz gegen Funkenflug bestanden habe und sich der Unfall nur wegen des Funkenflugs an der Maschine ereignet habe.

Während das Sozialgericht Regensburg (SG) mit Gerichtsbescheid vom 13.11.2003 die Ablehnung einer Überprüfung durch die Beklagte bestätigt hatte, verpflichtete das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 18.05.2004 (Az. L 3 U 375/03) die Beklagte zur Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und Gewährung gesetzlicher Leistungen ab 01.01.1998. Begründet wurde dies damit, dass sich bei der gemischten Tätigkeit angesichts des Funkenflugs nicht nur eine Gefahr aus dem privaten Bereich realisiert habe und der Versicherungsschutz auch nicht wegen selbstgeschaffener Gefahr entfallen sei. Der Leistungsbeginn ergebe sich aus § 44 Abs. 4 SGB X.

Die Beklagte veranla...

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