Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Anspruch auf Versorgung mit Avastin zur Behandlung eines rezidivierten Glioblastoms
Leitsatz (amtlich)
1. Die Behandlung eines rezidivierten Glioblastoms mit dem Fertigarzneimittel Avastin kann mangels indikationsbezogener Zulassung grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verlangt werden.
2. Die Ergebnisse der im November 2017 veröffentlichten Phase III-Studie zu Bevacizumab in der Rezidivtherapie eines Glioblastoms lassen nicht erwarten, dass Avastin eine Zulassungserweiterung zur Behandlung von Glioblastomen erhalten wird.
Einem Anspruch auf Versorgung mit Avastin zur Behandlung eines Glioblastoms aus § 2 Abs. 1a SGB V steht derzeit die Sperrwirkung der Nicht-Weiter-Verfolgung des Zulassungsverfahrens aus dem Jahr 2009 sowie die Ablehnung des Zulassungsantrags aus dem Jahr 2014 entgegen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. Juni 2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin und Berufungsklägerin Anspruch auf Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Avastin hat und Kosten für bereits durchgeführte Behandlungen mit Avastin zu erstatten sind.
Die 1949 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Im November 2014 wurde bei ihr ein Glioblastoma multiforme links frontal insulär, MGMT-methyliert, festgestellt. Zunächst wurde eine Chemotherapie mit dem Zytostaticum Temodal, ab Sommer 2015 zusätzlich eine Radiotherapie durchgeführt. Wegen erheblicher Nebenwirkungen wurde die Behandlung mit Temodal am 11.08.2015 und die Bestrahlungstherapie am 27.08.2015 ausgesetzt. Nach deutlichem Tumorwachstum wurde vom 07.03.2016 bis 02.05.2016 eine Chemotherapie mit Procarbazin und Lomustin (PC-Behandlung) durchgeführt, die wegen schwerer Nebenwirkungen abgebrochen wurde.
Ab dem 11.04.2016 wurde die Klägerin mit Avastin behandelt. Der in Avastin enthaltene Wirkstoff Bevacizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper aus der Gruppe der Immunglobuline, der für den Einsatz in Deutschland und der EU zur Behandlung verschiedener Krebserkrankungen, nicht aber zur Behandlung von Glioblastomen zugelassen ist.
Am 30.01.2017 stellte die Klägerin beim Sozialgericht München (SG) einen Eilantrag auf Behandlung mit Avastin (S 17 KR 145/17 ER). Bislang seien die Kosten für diese Behandlung auf Basis des Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) übernommen worden. Jetzt habe das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 13.12.2016, B 1 KR 10/16 R, entschieden, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) diese Therapie wegen fehlender Zulassung von Avastin zur Behandlung von Glioblastomen nicht mehr tragen dürfe. Bei ihr habe die Therapie nachweislich angesprochen.
Die Beklagte teilte dazu mit, dass ihr kein Antrag auf Kostenübernahme von Avastin vorliege. Sie sei nicht darüber informiert gewesen, dass sie diese Arzneimitteltherapie bislang bezahlt habe. Sie legte den Eilantrag der Klägerin als Antrag auf Kostenübernahme der Avastin-Therapie aus und lehnte diesen mit Bescheid vom 09.02.2017 unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 13.12.2016, B 1 KR 10/16 R, ab. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2017 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 27.04.2017 Klage zum SG München erhoben und vorgetragen, dass sich ihr Zustand bereits wenige Wochen nach der Erstgabe von Avastin gebessert habe. Auch die aktuelle Studienlage weise darauf hin, dass die Behandlung von Glioblastomen mit Avastin eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf erwarten lasse. Hingewiesen wurde auf die AVAglio Studie, die Glarius-Studie und die sog. EORTC-Studie 26101. Zudem sei die Entscheidung des BVerfG vom 11.04.2017, 1 BvR 452/17 zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat zu den von der Klägerin erwähnten Studien ausgeführt, dass die Glarius-Studie und die EORTC-Studie 26101 Phase II-Studien seien, die für den Fall der Klägerin nicht interessant seien. Bei der Klägerin finde eine Monotherapie mit Avastin statt, während die Glarius-Studie eine Kombinationstherapie mit Avastin und Irinotecan zum Gegenstand gehabt habe, und zwar bei Glioblastomen mit nicht methyliertem MGMT-Promotor - beim Tumor der Klägerin sei eine MGMT-Promoter-Methylierung nachgewiesen. Gegenstand der EORTC-Studie 26101 sei ebenfalls eine Kombinationstherapie (Avastin in Kombination mit Lomustin) gewesen. Lomustin habe die Klägerin nach eigenem Vortrag nicht vertragen.
Die von der Klägerin angesprochene AVAglio-Studie sei eine Phase III-Studie, welche die Behandlung des neu diagnostizierten Glioblastoms mit Avastin in Kombination mit Strahlentherapie und Temozolomid zum Gegenstand gehabt habe. Auf Grundlage dieser Studie habe der Hersteller von Avastin, die Firma R., eine...