Entscheidungsstichwort (Thema)

Kurzarbeitergeldanspruch. Busfahrer eines ausländischen Unternehmens ohne inländischen Betriebssitz. Fehlen der betrieblichen Voraussetzungen. Anzeigepflicht des Arbeitsausfalls. Betriebsabteilung. Territorialitätsprinzip. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den betrieblichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kurzarbeitergeld gehört auch der inländische Sitz eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung des Unternehmens, in dem die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dies folgt aus § 99 Abs 1 S 1 SGB III, der einen solchen Sitz voraussetzt, sowie aus dem Territorialitätsgrundsatz (§ 30 Abs 1 SGB I).

2. Die so verstandene Regelung des § 99 Abs 1 S 1 SGB III verstößt weder gegen nationales Verfassungsrecht noch gegen europäisches Gemeinschaftsrecht.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.08.2021 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Kurzarbeitergeld (Kug) nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für 14 Arbeitnehmer der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2020 bis 30.06.2020.

Die Klägerin ist ein als Societate cu raspundere limitata (S.R.L.) nach rumänischem Recht organisiertes Unternehmen mit Sitz in L (Kreis A, Rumänien), das einen lizenzierten grenzüberschreitenden Omnibusverkehr zwischen Rumänien und Deutschland betreibt und mit verschiedenen Reisebüros (Agenţii) im In- und Ausland kooperiert. Gesellschafter der GmbH sind P1 und der gleichzeitig als Direktor fungierende P2, Geschäftsführerin ist P3. Zum 10.03.2022 waren nach ihren Angaben insgesamt 169 Mitarbeiter bei der Klägerin beschäftigt, von denen 23 ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Kug wird für 14 Mitarbeiter mit Wohnadressen in Deutschland geltend gemacht, wobei ausweislich der vorgelegten Arbeitsverträge zehn als Busfahrer und erforderlichenfalls Aushilfen für Bürotätigkeiten und vier als Sachbearbeiter beschäftigt sind. Den Arbeitsverträgen ist weiter zu entnehmen, dass sieben Mitarbeiter ihren Wohnort am Sitz einer Agenţia P haben, und zwar in D, K, N und W. Als Arbeitsort ist in den Verträgen jeweils der Wohnort (D, F, P, S, K, W1, W) und in zwei Fällen der Sitz einer Agenţia P (M und F1) vorgesehen. In sämtlichen Verträgen hat sich die Klägerin vorbehalten, dem Mitarbeiter im Rahmen des billigen Ermessens eine andere gleichwertige Tätigkeit, auch andernorts, zuzuweisen.

Mit E-Mail vom 24.03.2020 zeigte die Klägerin unter Angabe des Ansprechpartners P4 (wohl des Firmengründers, vgl. https. P, besucht am 27.07.2023) und der Betriebsnummer bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) in N für den Gesamtbetrieb Arbeitsausfall für die Zeit von April bis voraussichtlich Juni 2020 an. Von der Kurzarbeit seien 23 Mitarbeiter betroffen. Bei Vollarbeit betrage die regelmäßige betriebsübliche Arbeitszeit 39 Stunden; diese werde während der Kurzarbeit auf 0 Stunden reduziert. Der Betrieb sei nicht tarifgebunden; ein Betriebsrat sei nicht vorhanden. Wegen der Grenzschließungen seien Fahrten ins Ausland nicht mehr möglich; die betroffenen Mitarbeiter aus Deutschland seien Busfahrer bzw. für die Busabfertigung in einigen Städten zuständig. Hierzu legte sie Einverständniserklärungen zur Einführung von Kurzarbeit von 15 Mitarbeitern vor.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24.04.2020 die Anerkennung der betrieblichen Voraussetzungen ab. Ein physischer Betrieb oder Betriebsteil in Deutschland bestehe nicht; der Sitz des Unternehmens befinde sich in Rumänien.

Zur Begründung des hiergegen gerichteten Widerspruchs führte die Klägerin aus, es liege im Wesen eines Busunternehmens, dass die Fahrer in der Nähe der Zu- und Ausstiegsstellen wohnten. Die Angestellten seien mit Wohnsitz in Deutschland gemeldet. Obwohl räumlich getrennt, würden die Fahrten einheitlich geplant, so dass die Fahrer die berufstypischen Ruhezeiten zwischen den Fahrten einhalten könnten. Diese Organisation werde einheitlich vom Geschäftsführer geleitet, der die einheitliche Betriebsleitung für die wirtschaftliche Einheit "Deutschland" habe. Er fälle die wesentlichen personalpolitischen Entscheidungen, insbesondere die Einstellung und Kündigung sowie die Einsätze im Fahrplan der Reisebusse. Die für den Reiseverkehr genutzten Busse dienten als sachliche Mittel der Verfolgung des arbeitstechnischen Zwecks der Personenbeförderung. Für die Beschäftigten sei der Lohn der Lohnsteuer unterworfen und die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge seien abgeführt worden. Eine Betriebsabteilung stehe einem Betrieb gleich. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2020 als unbegründet zurück. Es liege keine eigene Betriebsabteilung vor, da die Klägerin in Deutschland keine Anschrift oder Niederlassung habe, sondern nur eine Betriebsnummer und eine sogenannte anonyme Anschrift, um die Mitarbeiter ordnungsgemäß zur Lohnsteuer und Sozialversicherung anmelden...

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