Leitsatz (amtlich)
Bei der Umsetzung der Vorschriften zur Degression nach § 85 Abs. 4b SGB V für das Jahr 2019 ist es nicht zu beanstanden, wenn die Kassenzahnärztliche Vereinigung gegenüber dem Zahnarzt eine Berechnung entsprechend der in § 85 Abs. 4b SGB V angelegten Grundstruktur "pro rata temporis" vornimmt.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16. November 2021, S 38 KA 5007/21, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen Degressionskürzungen für das Jahr 2019.
Der Kläger ist ein in W an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmender Zahnarzt mit vollem Versorgungsauftrag.
Die Beklagte hat dem Kläger mit Degressionsbescheid vom 10.06.2020 mitgeteilt, dass sein Vergütungsanspruch für das Jahr 2019 in Anwendung der Degressionsbestimmungen um 36.325,14 Euro gekürzt werde.
Hiergegen hat der Kläger am 10.07.2020 Widerspruch erhoben und mit Schreiben vom 06.11.2020 begründet. Er habe die ehemalige - aus zwei Zahnärzten sowie mehreren angestellten Zahnärzten und Assistenzzahnärzten bestehende - Gemeinschaftspraxis H zum 02.01.2019 übernommen. Der ehemaligen Gemeinschaftspraxis hätte daher ein sehr großes degressionsfreies Punktevolumen zur Verfügung gestanden. Es habe nach Aussage des Ehepaars H zu keinem Zeitpunkt eine Degressionskürzung gegeben. Bei Übernahme der Praxis durch ihn sei das Auftragsbuch für die ersten Monate des Jahres 2019 bereits gut gefüllt gewesen. Die bereits terminierten Patienten seien durch ihn zusammen mit zwei beschäftigten Zahnärzten in Teilzeit (zu je 50%) unter immensem Arbeitseinsatz versorgt worden. Er habe sich zudem vertraglich verpflichten müssen, auch das gesamte Praxispersonal zu übernehmen. Diese besondere Situation, die sich dadurch auszeichne, dass er eine gewachsene Struktur (Gemeinschaftspraxis mit mehreren Zahnärzten und entsprechend zahlreiches, langgedientes, lohnintensives Praxispersonal bei hohem degressivem Punktevolumen) habe übernehmen müssen und diese Struktur ohne Übergangszeiten in eine Einzelpraxis überführt habe, führe dazu, dass die Kürzung des Honorars ihn in eine extreme betriebswirtschaftlich schwierige Lage gebracht habe. Diese Umstände hätten bei der Berechnung der Degressionsmenge berücksichtigt werden müssen. Die nunmehr erfolgte Degressionskürzung sei deshalb unverhältnismäßig und stelle für den Kläger eine außergewöhnliche Härte dar. Auch müsse berücksichtigt werden, dass es zu einer Verzerrung der Punktwerte dadurch gekommen sei, weil die ersten beiden Quartale erfahrungsgemäß die umsatzstärkeren Quartale des Jahres seien. Privatleistungen würden in seiner ländlichen Praxis praktisch nicht erbracht.
Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2020 zurückgewiesen. Zur Begründung verweist sie auf § 85 Abs. 4b SGB V und die zur Degression bisher ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Mit Einführung des TSVG zum 11.05.2019 seien die Absätze 4b bis 4f des § 85 SGB V aufgehoben und die Degression damit abgeschafft worden. Mangels Übergangsregelung sei entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die bis zum Zeitpunkt der Abschaffung angefallene Punktzahlmenge maßgeblich. Eine Hochrechnung auf das Jahr sei deshalb nicht vorzunehmen gewesen. Die weitere Entwicklung der Gesamtpunktmenge im Jahr 2019 sei daher für die Ermittlung der Degressionslastschriften irrelevant.
Des Weiteren wurde ausgeführt, für die Gewährung eines wie auch immer gearteten Härtefalles bzw. der Anerkennung einer Praxisbesonderheit bestehe für die Widerspruchsstelle kein Ermessensspielraum. Auch auf die Dauer des Bestehens der Praxis komme es bei der Anwendung des § 85 Abs. 4b SGB V nicht an. Rechtmäßig und der Rechtslage entsprechend sei es auch, dass die Punktmengen für genehmigte Entlastungs-, Weiterbildungs- und Vorbereitungsassistenten auch bei vollzeitiger Tätigkeit nur um 25 % angehoben würden.
Gegen den Widerspruchsbescheid ließ der Kläger am 15.01.2021 Klage zum Sozialgericht München (SG) erheben. Zur Begründung wird die bisherige Argumentation wiederholt. Die Beklagte möge offenlegen, wann und in welchen Fällen in der Vergangenheit Ausnahmen von der Degression gewährt worden seien.
Mit Schreiben vom 15.11.2021 ergänzte der Kläger seinen Vortrag. Aufgrund der engen persönlichen Verzahnung der Zahnärzte der ehemaligen Gemeinschaftspraxis H untereinander habe nur Frau H mit einer halben Stelle bei ihm weitergearbeitet und dies über mehrere Wochen auch nur als Entlastungsassistentin mit reduzierter Punktmenge, weil die Genehmigung als angestellte Ärztin erst nach mehreren Wochen vom Zulassungsausschuss habe erteilt werden können. Ebenso habe es sich mit dem auf einer halben Stelle beschäftigten B verhalten, der erst nach Monaten das polizeiliche Führungszeugnis aus seinem Heimatland Bulgarien erhalt...