Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeldrecht. Senkung des Bemessungseinkommens durch Entgeltumwandlung. Auffüllung eines tariflichen Lebensarbeitszeitkontos. kein Rechtsmissbrauch. Vorbehalt des Gesetzes
Orientierungssatz
Macht der Elterngeldberechtigte von einer tarifvertraglich eingeräumten Gestaltungsmöglichkeit der Entgeltumwandlung Gebrauch (hier durch Auffüllung eines insolvenzgeschützten Lebensarbeitszeitkontos), in deren Folge das steuerpflichtige Einkommen für die Bemessung des Elterngelds sinkt (hier Entgeltumwandlung von mehr als 3000 Euro pro Monat), kann wegen des Vorbehalts des Gesetzes im Sozialleistungsrecht kein Leistungsausschluss unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs angenommen werden.
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.01.2011 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des dem Kläger für L., geboren 2009, gewährten Elterngeldes, konkret die Frage, ob die Gutschrift auf einem Langzeitkonto rechtsmissbräuchlich ist, weil sie das steuerrechtliche Einkommen im Bezugszeitraum mindert.
Der Kläger beantragte für den Zeitraum vom 6. bis zum 14. Lebensmonat seines Sohnes die Gewährung von Elterngeld. Mit dem Antrag teilte er mit, dass er in den Zeiträumen vom 30.08.2009 bis 29.09.2009 und vom 30.04.2010 bis zum 29.05.2010 keine Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielen werde. Im Zeitraum vom 30.09.2009 bis 29.04.2010 würde er wöchentlich 30 Stunden arbeiten und aus dieser Tätigkeit ein steuerpflichtiges Einkommen in Höhe von 401 € brutto beziehen. Zugleich legte er Abrechnungsbescheinigungen seines Arbeitgebers für den Zeitraum von März 2008 bis März 2009 vor, aus denen sich ergibt, dass er nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung ein Nettoeinkommen zwischen 2.545,98 € und 3.011,48 € hatte. Außerdem liegt eine Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers vom 20.10.2009 vor, in der er ihm für den Kalendermonat 9/2009 ein steuerpflichtiges Bruttoeinkommen von 147,55 € und für den Monat 10/2009 von 402,71 € bescheinigte. Für die Monate von November 2009 bis Mai 2010 bescheinigte der Arbeitgeber jeweils ein steuerpflichtiges Bruttoeinkommen von 3.537,71 €.
Mit vorläufigem Bescheid vom 04.11.2009 bewilligte der Beklagte für den sechsten Lebensmonat Elterngeld in Höhe von 1.800 €, für die Lebensmonate 7 bis 14 Elterngeld in Höhe von 622,45 €. Bei der Berechnung rechnete er in den Lebensmonaten 7 bis 14 ein Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit von 3.537,71 € brutto, entsprechend 1.994,04 € netto, an.
Mit Schreiben vom 31.12.2009 übersandte der Kläger Gehaltsabrechnungen für die Monate 11 und 12/2009, aus denen sich ergibt, dass er wegen einer "Umwandlung laufendes Entgelt" in Höhe von monatlich 1.335 € lediglich Nettobezüge von 374,26 € monatlich erzielte. Aus der Entgeltbescheinigung vom 10.06.2010 ergibt sich, dass der Kläger in den Monaten 10/2009 bis 4/2010 ein steuerpflichtiges Einkommen von 402,71 € beziehungsweise 274,49 € hatte. Dem beiliegenden Schreiben vom 11.06.2010 ist zu entnehmen, dass in den Monaten Oktober 2009 bis April 2010 jeweils eine Entgeltumwandlung in Höhe von 3.135 € beziehungsweise 3.209 € erfolgte.
Mit Bescheid vom 06.08.2010 setzte der Beklagte das für die Lebensmonate 7 bis 13 zustehende Elterngeld auf 300 € monatlich fest, für den 14. Lebensmonat auf 1.800 € und forderte den überzahlten Betrag von 1.079,60 € zurück. Dabei berücksichtigte er im Bezugszeitraum jeweils ein monatliches Einkommen des Klägers von 3.432,59 € beziehungsweise 3.504,50 €. Der Sinn des Elterngeldes sei es insbesondere, dass Familien sich in der Zeit des Leistungsbezugs ohne finanzielle Nöte vorrangig der Betreuung des Kindes widmen könnten. Dieser Zweck des Elterngeldes werde durch vertragliche Gestaltungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nach denen etwa die Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Entgelt erkennbar nur deshalb stunden, um Anspruch auf Elterngeld geltend zu machen, umgangen. Durch solche Gestaltungen entfalle Einkommen nach der Geburt nicht aufgrund der Betreuung des Kindes, sondern aufgrund vertraglicher Vereinbarung. Die Entgeltumwandlung werde daher als Einkommen im Sinne des Elterngeldgesetzes berücksichtigt.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Steuerfreies Einkommen wäre nach § 2 Abs. 7 S. 3 BEEG nicht zu berücksichtigen. Die Vereinbarung einer Entgeltumwandlung in ein Langzeitkonto sei jedoch rechtsmissbräuchlich. Der Zweck des BEEG würde durch vertragliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nach denen etwa die Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Bezüge erkennbar nur deshalb stundeten, um ungeschmälert ihren Anspruch auf Elterngeld geltend zu machen, umgangen. Vergleichbares gelte bei dem gezielten Aufbau von Stundenkonten. Durch den Aufbau ein...