Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Umgangskosten. Fahrkosten. Höhe und Einsparmöglichkeiten. Zumutbarkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel
Leitsatz (amtlich)
1. Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit einem Kind sind gemäß § 21 Abs 6 SGB 2 nur dann als Mehrbedarf anzuerkennen, wenn es sich unter anderem um einen unabweisbaren Bedarf handelt und insbesondere Einsparmöglichkeiten berücksichtigt werden.
2. Der Umfang des Mehrbedarfs richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Benutzung eines PKW ist nicht unabweisbar, wenn Fahrten mit preiswerten öffentlichen Verkehrsmitteln (hier Bayern Ticket) zumutbar sind. Die längere Dauer der Zugfahrten (hier Umsteigezeiten von ca. 45 Minuten) führt regelmäßig nicht zu deren Unzumutbarkeit.
Orientierungssatz
Ein weiterer Abzug in Höhe von 10 % der Regelleistung von den Fahrkosten der öffentlichen Verkehrsmittel als Einsparmöglichkeit iS des § 21 Abs 6 S 2 SGB 2 ist nicht zulässig.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Januar 2012 und der Bescheid vom 10.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2011 abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen für einen Mehrbedarf unter Anrechnung des bislang vom Beklagten gewährten und vom Sozialgericht zugesprochenen Mehrbedarfs zu gewähren und zwar
80,- Euro für Juni 2010,
100,- Euro für Juli 2010,
40,- Euro für August 2010,
60,- Euro für September 2010 und
60,- Euro für Oktober 2010.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Zeit von 01.06.2010 bis 31.10.2010. Er macht einen Mehrbedarf aufgrund von Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter gelten.
Der 1954 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Er wohnte in der strittigen Zeit als Miteigentümer in einem Zweifamilienhaus in D.. Die im Februar 2011 erfolgte Zwangsversteigerung konnte die auf dem Haus lastenden Schulden nicht decken.
Mit Bewilligungsbescheid vom 31.05.2010 wurde dem Kläger Arbeitslosengeld II für die Zeit von 01.06.2010 bis 30. 11.2010 in Höhe von monatlich 700,78 Euro bewilligt. Einkommen wurde nicht erzielt und auch nicht angerechnet. Neben der Regelleistung von 359,- Euro wurden 341,78 Euro für die Kosten der Unterkunft gewährt.
Am 09.11.2010 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass seine im Juni 1999 geborene Tochter L.-J., die bislang bei ihrer Mutter in D-Stadt wohnte, ab 08.10.2010 bei ihm im Haushalt leben werde. Zugleich stellte der Kläger einen Antrag auf "Leistungszuschuss für seine Tochter" für die Tage, an denen seine Tochter in der Zeit von 26.03.2010 bis 08.10.2010 an den Wochenenden und in den Schulferien bei ihm in D. gewesen sei. Der Kläger hatte seine Tochter regelmäßig alle zwei Wochen am Freitag in D-Stadt abgeholt und am darauf folgenden Sonntag wieder zurückgebracht. Diesen Antrag wiederholte der Kläger am 18.01.2011, wobei er dort angab, die Tochter sei seit 15.10.2010 bei ihm wohnhaft.
Mit Bescheid vom 10.03.2011 wurden dem Kläger für die Zeit von 01.06.2010 bis 14.10.2010 für die Wahrnehmung des Umgangsrechts Fahrtkosten in Höhe von 135,60 Euro bewilligt. Dies ergebe sich aus einer Fahrstrecke zwischen D. und D-Stadt von insgesamt 3151 Kilometer, diese geteilt durch zwei, multipliziert mit 0,20 Euro je Kilometer gleich 315,10 Euro. Davon sei eine Ersparnismöglichkeit von 10 % der Regelleistung aus fünf Monaten abzuziehen, mithin 179,50 Euro. Über die Zeit bis einschließlich Mai 2010 sei bereits mit Bescheid vom 20.05.2010 entscheiden worden.
Der Kläger erhob Widerspruch. Es seien mindestens 0,20 Euro je gefahrenen Kilometer anzusetzen. Dies ergebe bei einer Gesamtfahrstrecke von 3151 km einen Betrag von 630,20 Euro. Eine Ersparnis sei nicht abzuziehen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2011 zurückgewiesen. Es handle sich um einen unabweisbaren laufenden Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. Es seien entsprechend § 6 Abs. 1 Nr. 3b Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V) je Entfernungskilometer 0,20 Euro anzusetzen und eine Ersparnis von 10 % der Regelleistung abzuziehen.
Der Kläger erhob am 19.09.2011 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Er sei mit seinem Auto gefahren. Pro gefahrenen Kilometer seien 0,30 Euro zu erstatten. Die Benzinkosten und die Abnutzung des PKW lägen sogar über den geforderten Beträgen. Öffentliche Verkehrsmittel hätten nicht genutzt werden können. Der Abzug von 10 % der Regelleistung sei nicht gerechtfertigt.
Mit Urteil vom 17.01.2012 wurde der Beklagte verpflichtet, weitere 179,50 Euro an den Kläger bezahlen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Kläg...