rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme. Bewilligung von Arbeitslosenhilfe. Erstattung. Rücknahme von rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten für die Vergangenheit. Grobe Fahrlässigkeit. Urteils- und Kritikfähigkeit. Einsichtsvermögen. Obliegenheit. Merkblatt
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Obliegenheit, Bescheide zu lesen, besteht, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist.
2. Ein Antragsteller darf davon ausgehen, dass die Behörde seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Dies gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, weil sonst Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen aufgebürdet würde.
3. Allein die Tatsache, dass Arbeitslosenhilfe in der Regel geringer als Arbeitslosengelt ausfällt, kann den Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens nicht begründen.
Normenkette
SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, Abs. 1
Verfahrensgang
SG Würzburg (Entscheidung vom 19.12.2002; Aktenzeichen S 7 AL 523/99) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 19.12.2002 sowie der Bescheid vom 07.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.1999 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Tatbestand:
Streitig ist die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 3.269,62 DM.
Die 1945 geborene Klägerin war zuletzt als Reinemachefrau in Teilzeit tätig und meldete sich nach dem Bezug von Krankengeld bis 30.09.1997 am 23.09.1997 erneut arbeitslos. Ihre Vermittlungsfähigkeit schränkte sie - wie bereits in den vorangegangenen Anträgen - auf 20 Stunden ein. Aufgrund des Bescheides vom 14.10.1997 erhielt sie ab 01.10.1997 Arbeitslosengeld (Alg) nach einem Leistungssatz von zuletzt 102,06 DM wöchentlich bei einem zugrunde zu legenden gerundeten Arbeitsentgelt von 320,- DM (Kindermerkmal: 0, Leistungsgruppe: D). Nach Erschöpfung des Anspruches auf Alg beantragte die Klägerin Alhi, wobei sie erneut auf ihre zeitlich begrenzte Vermittlungsfähigkeit aus den der Beklagten bekannten Gründen hinwies. Zudem gab sie an, als Vormund zwei Pflegekinder (geboren am 28.04.1994 und 04.05.1993) zu betreuen. Mit Bescheid vom 20.07.1998 bewilligte die Beklagte Alhi ab 04.07.1998 (Leistungsgruppe: D, Kindermerkmal: 1) in Höhe von zunächst 167,44 DM wöchentlich aufgrund eines zugrunde gelegten gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgeltes in Höhe von 610,- DM.
Nachdem die Beklagte die Nichtberücksichtigung der zeitlichen Einschränkung bemerkt hatte, erklärte die Klägerin, sie habe bei der Arbeitslosmeldung angegeben, 20 Stunden pro Woche dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen und habe den Bewilligungsbescheid nicht geprüft. Den Mitarbeitern der Beklagten hätten sämtliche Unterlagen vorgelegen.
Nach Anhörung nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 04.07.1998 bis 31.05.1998 (zutreffend: 1999) teilweise in Höhe von 70,49 DM wöchentlich zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 3.249,62 DM. Die Klägerin habe Alhi in voller Höhe erhalten, obwohl ihre Vermittlungsfähigkeit auf 20 Stunden eingeschränkt gewesen sei (Bescheid vom 07.07.1999).
Den Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin damit, sie habe alle Angaben vollständig und ordnungsgemäß gemacht. Wenn die Beklagte nicht zur richtigen Berechnung in der Lage sei, könne dies von ihr auch nicht erwartet werden.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.1999 zurück. Bei einer schon im Eigeninteresse erfolgenden Nachberechnung hätte die Klägerin feststellen können, dass sowohl das wöchentliche Arbeitsentgelt als auch der Leistungssatz zu hoch sei. Sie sei mit dem Bewilligungsbescheid darüber aufgeklärt worden, dass im Regelfall das Bemessungsentgelt maßgeblich sei, das auch für die Berechnung des Alg herangezogen werde. Es sei allgemein bekannt, dass Alhi niedriger sei als Alg.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und zur Begründung über das bisherige Vorbringen hinaus vorgetragen, anhand der Bezifferung im Bewilligungsbescheid sei ein Rechenfehler der Beklagten nicht ersichtlich. Selbst bei sorgfältigster Überprüfung wäre es ihr nicht möglich gewesen, die geringfügige Überzahlung festzustellen. Die überzahlte Alhi sei zudem verbraucht. Leistungsbescheide schaue sie grundsätzlich hinsichtlich des Auszahlungsbetrages an. Sie sei jedoch immer der Meinung gewesen, die Berechnung stimme.
Mit Gerichtsbescheid vom 19.12.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die von Anfang an rechtswidrige Leistungsbewilligung sei offenkundig. Die Klägerin habe angegeben, grundsätzlich Bewilligungsbescheide anzusehen. Daher müsse ihr der zu hohe Zahlbetrag ebenso aufgefallen sein wie die entsprechenden höheren Eingänge auf ihrem Bankkonto,...