Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsschutzbedürfnis. keine Klagebefugnis der Arbeitnehmer. Massenentlassungsverfahren. Anzeigepflicht. Entlassungssperre. Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit. Massenentlassungsrichtlinie

 

Orientierungssatz

Ein Arbeitnehmer kann weder aus der Richtlinie des Rates 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen vom 20.7.1998 (juris: EGRL 59/98) individuelle Rechte herleiten noch begründen die §§ 17ff KSchG klagfähige Rechte gegen die Bundesagentur für Arbeit für die Arbeitnehmer, die von der anzeigepflichtigen Massenentlassung betroffen sind, da diese Vorschriften nicht drittschützend sind.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.10.2012; Aktenzeichen B 11 AL 64/12 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30.08.2011 insoweit abgeändert, als die Klage als unzulässig zu verwerfen war. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Zustimmung der Beklagten vom 02.06.2009 zu einer Massenentlassung, die dadurch erforderlich wurde, dass die D. AG der Fa. "D. GmbH & Co. OHG" (Fa. D.) die Räumlichkeiten im Bereich des Hauptbahnhofs B-Stadt gekündigt hatte, wodurch eine Betriebsstilllegung erforderlich wurde.

Die Klägerin war Arbeitnehmerin der Fa. D., welche am 29.05.2009 gegenüber der Beklagten die bevorstehende Entlassung von 42 Arbeitnehmern zum 31.12.2009 anzeigte.

Nach einer in den Akten der Beklagten vorhandenen, an den zuständigen Betriebsrat der Fa. D. gerichteten Information vom 14.04.2009, sollten die Kündigungen im Juni 2009 ausgesprochen und zum 31.12.2009, in Abhängigkeit der geltenden Kündigungsfristen ggf. auch später, wirksam werden. Mit dem Betriebsrat sei ein Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt worden.

Die Beklagte erteilte mit Bescheid vom 02.06.2009 die Zustimmung zu den von der Fa. D. angezeigten Entlassungen.

Die Klägerin legte am 15.09.2009, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.06.2009 ein. Durch den Bescheid vom 02.06.2009 werde auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin betroffen. Ihr stehe eine Anfechtungs- und Klagebefugnis zu, da der Bescheid vom 02.06.2009 privatrechtsgestaltende Wirkung habe. Der Ausschluss einer Anfechtungsmöglichkeit würde auch der Richtlinie des Rates 75/129/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen vom 17.02.1975 widersprechen. Der Bescheid vom 02.06.2009 sei wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig. Die §§ 17 ff des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) würden auch individuelle Interessen schützen. Die berechtigten Belange der Klägerin seien nicht berücksichtigt und eine Anhörung nicht durchgeführt worden.

Die Beklagte verwarf den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2009 als unzulässig. Dem einzelnen Arbeitnehmer stehe nach herrschender Rechtsauffassung kein Widerspruchs- und Klagerecht zu, da er am Verfahren nicht beteiligt sei und der Kündigungsschutz des § 17 KSchG ihm nur mittelbar zugute komme.

Hiergegen ließ die Klägerin am 15.12.2009, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, Klage zum Sozialgericht München erheben. Durch den Bescheid vom 02.06.2009 werde auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin betroffen. Ihr stehe eine Anfechtungs- und Klagebefugnis zu, da der Bescheid vom 02.06.2009 privatrechtsgestaltende Wirkung habe. Der Ausschluss einer Anfechtungsmöglichkeit würde auch der Richtlinie des Rates 75/129/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen vom 17.02.1975 widersprechen. Der Bescheid vom 02.06.2009 sei wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig, §§ 17 ff. KSchG würden auch individuelle Interessen schützen. Die berechtigten Belange der Klägerin seien nicht berücksichtigt, eine Anhörung der Klägerin nicht durchgeführt worden.

Das Sozialgericht München (SG München) hat die Klägerin mit Schreiben vom 30.03.2011, 09.05.2011 und 21.06.2011, dieses dem Bevollmächtigten der Klägerin gemäß Postzustellungsurkunde am 24.06.2011 zugestellt, aufgefordert mitzuteilen, wann und zu welchem Beendigungstermin die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin erfolgt sei und gebeten, eine Kopie der Kündigung vorzulegen. Dieser Aufforderung ist die Klägerin nicht nachgekommen.

Nach Anhörung vom 19.07.2011 hat das SG München die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30.08.2011 abgewiesen.

Das SG München hat darin ausgeführt, dass eine Anfechtungsklage nur zulässig sei, wenn die Klägerin behaupte, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein. Dies setze voraus, dass die Verletzung eigener oder der in zulässiger Prozessstandschaft vertretenen Rechte eines Dritten geltend gemacht werden und die Verletzung dieser Rechte danach auch möglich erscheine. Die Klagebefugnis fehle, wenn nach dem Klagevorbringen eine Verletzung derartiger Rechte nicht in Betracht komme.

Eine Ve...

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