Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. chronisches Erschöpfungssyndrom. sozialgerichtliches Verfahren. ärztliches Sachverständigengutachten. Hinzuziehung eines weiteren Arztes zur gemeinschaftlichen Gutachtenerstellung

 

Orientierungssatz

1. Zur einzelfallbezogenen Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) bei einem chronischen Erschöpfungssyndrom (Chronic-Fatigue-Syndrom - CFS).

2. Ein ärztliches Sachverständigengutachten ist nicht zu beanstanden, wenn der beauftragte Gutachter (hier Sozial- und Umweltmediziner) einen weiteren Arzt (hier Neurologin) hinzugezogen hat und das Gutachten unter seiner Federführung gemeinschaftlich erstellt wurde.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.10.2014; Aktenzeichen B 9 SB 53/14 B)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 04.11.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1958 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs. 2, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Der Kläger machte mit Erstantrag vom 30.01.2008 folgende Gesundheitsstörungen geltend: Multiple chemische Sensibilisierung (MCS), chronische Allergien, Entmineralisierung, Schädigung der Schleimhäute des Verdauungstraktes, chronisches Erschöpfungssyndrom und chronische Rückenprobleme im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) und Brustwirbelsäule (BWS).

Der behandelnde Internist Dr. R. beschrieb mit Befundbericht vom 13.02.2008 einen normalen Ganzkörperstatus bei seit ca. 10 Jahren bestehendem chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) mit Leistungsschwäche und rascher Ermüdbarkeit einhergehend mit MCS. Die Alltagsbelastungen seien erträglich bei eingeschränkter Ausdauer und langen Erholungs- bzw. Regenerationsphasen. Beigefügt waren die Berichte des Kreiskrankenhauses St. E. über die am 11.09.2007 durchgeführte Bursektomie links ohne nachfolgende Komplikationen.

Der Beklagte lehnte eine Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht (SGB IX) mit Bescheid vom 25.02.2008 ab, weil die bestehenden Gesundheitsstörungen “psychovegetative Störungen„ und “Funktionshinderung der Wirbelsäule„ nur mit Einzel-GdB-Werten von jeweils 10 zu berücksichtigen seien und deswegen ein Gesamt-GdB von 20 nicht erreicht werde.

Im Widerspruchsverfahren attestierte Dr. B. mit Befundbericht vom 26.02.2006 ein Chronic-Fatic-Syndrom (CFS). Außerdem leide der Kläger an Lumbalgien und Brustwirbelsäulenbeschwerden. Der Kläger war nicht bereit, sich durch den Neurologen und Psychiater Dr. H. versorgungsärztlich untersuchen zu lassen. Nachfolgend rügte Dr. B. mit umfassendem Befundbericht vom 10.11.2008, dass Dr. R. das bei dem Kläger bestehende MCS in seinem Ausmaß und seinen Auswirkungen nicht erkannt habe. Es bestehe ein GdB von 90. Auf Nachfrage des Beklagten ergänzte Dr. B. mit Befundbericht vom 03.03.2009, dass aufgrund des MCS eine dauerhaft stark verminderte geistige und körperliche Belastbarkeit bestehe. Bei einem Arbeitssoll von 42 Std. pro Woche würden maximal 33 Std. erreicht, wobei die Wochenenden überwiegend der Regeneration vorbehalten bleiben müssten. Pro Tag müsse eine Mittagspause mit Mittagsruhe von mindestens 2 Std. eingehalten werden. Auch die Ausübung von Sport oder Hobbys sei nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Der Gesamt-GdB betrage 80.

Der Beklagte stellte mit Teilabhilfebescheid vom 08.06.2009 einen GdB von 20 ab 30.01.2008 fest unter Berücksichtigung nachstehender Gesundheitsstörungen:

1. Psychovegetative Störungen (Einzel-GdB 20);

2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10).

Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2009 zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 04.08.2009 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und sinngemäß die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 beantragt.

Von Seiten des SG sind die Behindertenakten des Beklagten beigezogen worden. Die TCM-Klinik K. hat mit Arztbrief vom 11.07.2009 ein chronisches Erschöpfungssyndrom, ein Lumbalsyndrom bei Skoliose sowie ein MCS diagnostiziert. Der Kläger sei von Beruf Beamter am Landratsamt im Bereich Naturschutz. Seit 2001 arbeite er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in Vollzeit. Nach durchgehender Arbeitsunfähigkeit seit März 2000 erfolge gegenwärtig eine gestufte Wiedereingliederung von 15 bis 20 Std. Das frühere Hobby Wandern könne kräftemäßig gegenwärtig nicht mehr ausgeübt werden. Dr. R. beschrieb mit Befundbericht vom 05.10.2009 das bestehende chronische Erschöpfungssyndrom mit Leistungsschwäche und rascher Ermüdbarkeit und übermittelte die ihm vorliegenden Fremdbefunde, u.a. den Entlassungsbericht des Kreiskrankenhauses St. E. in A-Stadt vom 29.04.2009. Dort wurde nach stationärem Aufenthalt vom 06.03. bis 13.03.2009 eine Myocarditis ausgeschlossen, ein Verdacht auf einen geringgradigen Mitralklappenprolaps geäußert sowi...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge