Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Verletzung der Aufklärungspflicht. Drittschuldner. Gesetzesänderung. Pfändungsvorschrift
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich ist jeder Sozialleistungsträger verpflichtet, die Pfändungs- und überweisungsbeschlüsse des Vollstreckungsgerichtes zu beachten; nach deren Zustellung kann er als Drittschuldner insoweit nicht mehr mit befreiender Wirkung an den Schuldner leisten. Insoweit ist er auch grundsätzlich nicht befugt, über die Pfändungsvoraussetzungen selbst zu entscheiden; diese Entscheidung trifft ausschließlich das Vollstreckungsgericht, dem insoweit auch eine umfassende Prüfungspflicht obliegt.
2. Für den Sozialleistungsträger besteht aber eine Aufklärungspflicht oder eine Pflicht zur Einlegung einer Erinnerung zu Gunsten des Leistungsberechtigten im Rahmen des Vollstreckungsrechtes, wenn sich aus den ihm bekannten Umständen konkrete Anhaltspunkte für eine Verletzung des § 54 SGB 1 ergeben (vgl BSG vom 12.6.1992 - 11 RAr 139/90 = SozR 3-1200 § 54 Nr 1).
3. Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folgt, daß diese unabhängig von verwaltungsinternen Bekanntmachungsvorgängen das Inkrafttreten von Gesetzesänderungen ab dem Eintritt ihrer Wirkung entsprechend zu berücksichtigen hat.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Beklagten, die Versorgungsbezüge des Klägers aufgrund eines Herstellungsanspruchs neu zu berechnen.
Der am 1928 geborene Kläger bezieht vom Beklagten Versorgungsbezüge (Grundrente, Kleiderverschleißpauschale und Ausgleichsrente) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Einer Vielzahl von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen entsprechend, u.a. vom 06.05.1977, setzte der Beklagte von den laufenden Versorgungsbezügen Beträge ab und überwies sie dem jeweiligen Gläubiger.
Aufgrund einer Neuberechnung der Versorgungsleistungen wegen Anpassung nach § 3 KOV-Anpassungsverordnung kam die Akte im September 1994 in den Geschäftsgang des Beklagten. Mit Bescheid vom 26.09.1994 paßte der Beklagte die Versorgungsleistungen an, berechnete den pfändbaren Betrag ohne Berücksichtigung des durch das 2.Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 13.06.1994 geänderten § 54 Abs.3 Nr.3 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) und überwies diesen an den Gläubiger. Mit Folgebescheid vom 25.07.1995 nahm er eine weitere Anpassung nach dem 4.KOV-Anpassungsgesetz vor und setzte wiederum den neu berechneten pfändbaren Betrag wie in der Vergangenheit ab.
Mit Schreiben vom 24.07.1995 wandte sich der Beklagte an das Amtsgericht Augsburg -- Vollstreckungsgericht --, um eine Berichtigung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des derzeitigen Gläubigers im Hinblick auf die geänderte Bestimmung des § 54 Abs.3 Nr.3 SGB I zu erreichen.
Mit Schreiben vom 14.08.1995 erhob der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 25.07.1995 Widerspruch wegen der erfolgten Absetzung eines Pfändungsbetrages; mit weiterem Schreiben vom 21.11.1995 beantragte er unter Hinweis auf die Vorschrift des § 54 Abs.3 Ziff.3 SGB I vom Beklagten die Erstattung der seit dem 01.07.1994 von seinen Versorgungsbezügen abgezweigten Pfändungsbeträge.
Aufgrund des zwischenzeitlich geänderten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Augsburg vom 22.12.1995 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 02.01.1996 fest, ab dem 01.02.1996 werde von einer Absetzung von Pfändungsbeträgen abgesehen, weil pfändbare Beträge nunmehr nicht mehr zur Verfügung stünden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.1996 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück; er sei gehalten gewesen, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichtes Augsburg vom 06.05.1997 im Rahmen der Pfändungsgrenzen nach der Anlage zu § 850 Buchst.c Zivilprozeßordnung (ZPO) auszuführen; es sei Sache des Klägers als Schuldner, beim Vollstreckungsgericht eine Erhöhung des unpfändbaren Betrages zu beantragen; der Beklagte habe dem Kläger gegenüber keine Fürsorgepflicht verletzt; bis zur Zustellung des Änderungsbeschlusses vom 22.12.1995 habe der Beklagte nach § 850 Buchst.g Satz 3 ZPO mit befreiender Wirkung nach dem Inhalt des früheren Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 06.05.1977 an den Gläubiger leisten dürfen; eine Rückerstattung der gepfändeten Rentenanteile ab 01.07.1994 könne deshalb nicht erfolgen.
Zur Begründung seiner hiergegen am 13.09.1996 zum Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage trug der Kläger vor, im Bescheid des Beklagten vom 26.09.1994 finde sich kein Hinweis auf die durch § 54 Abs.3 Nr.3 SGB I neu geschaffene Rechtslage; hierauf habe der Beklagte zumindest hinweisen müssen, wenn er nicht sogar verpflichtet gewesen wäre, von Amts wegen die Änderung zu beantragen; der Beklagte habe jedenfalls seine ihm aus dem Sozialversicherungsverhältnis obliegende Betreuungspflicht verletzt; zwar habe er die Änderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 06.05.1977 am 24.07.1995 beim Amtsgericht Augsburg beantragt, dies hätte er aber schon im Juni oder zumindest im ...