Beteiligte
Bayerische Landesamt für Versorgung und Familienförderung -Landesversorgungsamt- Außenstelle Bayreuth |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. August 1998 und des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Juli 1997 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in sämtlichen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger bezieht Versorgung (Grundrente, Kleiderverschleißzulage und Ausgleichsrente) nach dem Bundesversorgungsgesetz. Von den laufenden Bezügen zahlte der Beklagte nur den pfändungsfreien Betrag an den Kläger aus, den Rest überwies er aufgrund von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen an dessen Gläubiger.
Als 1994 durch eine Gesetzesänderung die Grundrente und die Kleiderverschleißzulage für unpfändbar erklärt wurden (§ 54 Abs 3 Nr 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫ idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 13. Juni 1994 ≪BGBl I 1229≫), errechnete sich kein pfändbarer Betrag mehr. Der Beklagte berücksichtigte die neue Rechtslage erst ab Februar 1996, nachdem auf seinen Antrag hin das Amtsgericht (AG) den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß entsprechend geändert hatte. Der Kläger verlangte mit Widerspruch gegen den Anpassungsbescheid vom 25. Juli 1995, die Versorgungsbezüge ab 1. Juli 1994 voll an ihn auszuzahlen. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 19. August 1996).
Das Sozialgericht hat den Beklagten verurteilt, die Versorgungsbezüge des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1996 neu zu berechnen (Urteil vom 30. Juli 1997). Die Berufung des Beklagten ist vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen worden (Urteil vom 11. August 1998). Der Beklagte habe den Kläger nicht auf die am 1. Juli 1994 in Kraft getretene Gesetzesänderung hingewiesen und auch zunächst nicht selbst eine Änderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt. Damit habe er seine Aufklärungs- und Beratungspflicht verletzt und dem Kläger insoweit einen Schaden zugefügt, als zu Unrecht unpfändbare Beträge von dessen Versorgungsbezügen abgesetzt worden seien. Diesen Schaden habe der Beklagte nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch eine Neuberechnung der Versorgungsbezüge auszugleichen.
Der Beklagte macht mit seiner – vom Senat zugelassenen – Revision ua geltend, das LSG habe den Inhalt des von der Rechtsprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verkannt.
Er beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. August 1998 und des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Juli 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist begründet. Die Instanzgerichte haben den Beklagten zu Unrecht verurteilt, die Versorgungsbezüge des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1996 „neu zu berechnen” und – ohne dies im Tenor ausdrücklich auszusprechen – ihm den gepfändeten und an die Gläubiger ausgekehrten Teil seiner laufenden Bezüge für diese Zeit nachzuzahlen. Die Verpflichtung zur Nachzahlung ergibt sich insbesondere nicht aus dem von der Rechtsprechung entwickelten Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Ein solcher Anspruch setzt zunächst voraus, daß der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15 und 14 SGB I), verletzt hat; außerdem muß die Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers zu einem Nachteil des Betroffenen geführt haben (vgl BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 mit Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur). Zwar ist die erste dieser Voraussetzungen erfüllt (vgl BSG SozR 3-1200 § 54 Nr 1; Pappai, BG 1987, 260, 262; aA Bonnermann, Kompaß 1984, 233, 234). Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß stand – für den Beklagten ohne weiteres erkennbar – im Widerspruch zu dem ab 1. Juli 1994 geltenden Recht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Beklagte erst mit einer Verzögerung von etwa einem Jahr beim AG einen Antrag auf Berichtigung dieses Beschlusses gestellt hat.
Aber selbst wenn man trotz der eingetretenen Schuldentilgung davon ausgeht, daß dem Kläger durch die rechtswidrige Pfändung und Überweisung eines Teils seiner – nach der Gesetzesänderung unpfändbaren – Versorgungsbezüge ein Nachteil entstanden ist (vgl dazu BAGE 69, 29), besteht kein Anspruch auf „erneute Zahlung” im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Denn ein etwa durch das pflichtwidrige Unterlassen des Beklagten eingetretener – wirtschaftlicher – Nachteil läßt sich hier nicht durch eine zulässige Amtshandlung ausgleichen. Das ist aber eine der Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 mit Nachweisen). Ebensowenig wie die Arbeitsverwaltung eine in die Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse durch eine günstigere, von dem Betroffenen bei pflichtgemäßer Beratung rechtzeitig beantragte Lohnsteuerklasse zu ersetzen vermag (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1980 - 7 RAr 14/78 - DBlR Nr 2689a zu § 113 Arbeitsförderungsgesetz), kann die Versorgungsverwaltung einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß ändern. Zuständig sind dort allein die Finanzbehörden, hier ist es das AG. Solange die dem Verwaltungshandeln des Beklagten entzogenen Umstände unverändert bleiben, hat der Beklagte sie zu beachten. Deshalb mußte der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß bis zu seiner Aufhebung oder Änderung von der Versorgungsverwaltung ihren Entscheidungen zugrundegelegt werden. Auch wenn der Beklagte verpflichtet gewesen sein sollte, nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 13. Juni 1994 unverzüglich für eine Änderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses Sorge zu tragen, läßt sich ein Verstoß gegen diese Pflicht nicht dadurch ausgleichen, daß im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die frühere Änderung des genannten Beschlusses fingiert wird. Dies ist nämlich für außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegende Tatbestände, an die das materielle Recht für die Entstehung, den Inhalt und den Umfang von Leistungsansprüchen anknüpft, nicht zulässig (vgl Diener, MittLVA Oberfr 1999, 289, 338, 343).
Ob wegen des Verhaltens der Beklagten ein Amtshaftungsanspruch (Art 34 Grundgesetz ≪GG≫ iVm § 839 BGB) besteht, hatte der Senat nicht zu entscheiden (vgl zur Schadensersatzpflicht des Leistungsträgers bei Bearbeitung von Pfändungen: Wolber, NJW 1980, 24; Bonnermann aaO). Die Entscheidung hierüber fällt in die Zuständigkeit der Zivilgerichte (Art 34 Satz 3 GG, § 17 Abs 2 Satz 2 GVG). Daran ändert auch nichts die Regelung des § 202 SGG iVm § 17 Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten entscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 543068 |
br 2000, 85 |
SozSi 2001, 179 |