Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. betreute Wohnform iS von § 37 Abs 2 S 1 SGB 5. vollstationäre Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen. Insulin-Injektionen und Blutzuckermessungen gehören zur häuslichen Krankenpflege. Nichtanwendung des § 55 SGB 12. Behandlungspflege. Eingliederungshilfe
Leitsatz (amtlich)
Leistungen der häuslichen Krankenpflege (hier Blutzuckermessung und Insulingabe) sind von der Krankenkasse auch in Einrichtungen der Behindertenpflege zu erbringen, soweit der Einrichtungsträger nicht verpflichtet ist, Behandlungspflege zu erbringen.
Orientierungssatz
1. Der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe (ohne Anspruch auf Behandlungspflege) ist mit dem betreuten Wohnen zu vergleichen.
2. Die pauschale Vergütung einer Pflegekasse nach § 43a SGB 11 zur Abgeltung der Pflegeleistungen und der medizinischen Behandlungspflege, die den Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gezahlt wird, führt nicht zu einem Ausschluss des Anspruchs.
3. Die Vorschrift des § 55 SGB 12 betrifft Pflegeleistungen nach dem SGB 11 und nicht Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB 5.
Normenkette
SGB V § 37 Abs. 2 S. 1, Abs. 6; SGB XI § 43a; SGB XII § 55 S. 1
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 15. März 2012 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung für Blutzuckermessungen und Insulin-Injektionen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 26.09.2010 bis 30.06.2011 in (nachgewiesener) Höhe von 5.369,17 € streitig.
Der 1942 geborene Kläger, für den ein gesetzlicher Betreuer bestellt ist, ist Mitglied der Beklagten. Er ist in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) untergebracht. Die Kosten der Unterbringung trägt der Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 54 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -). Der Kläger leidet u.a. unter insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ II.
Mit ärztlicher Verordnung vom 30.09.2010 wurde von Dr. K. B. für den Zeitraum vom 26.09.2010 bis 31.12.2010 die Kostenübernahme von häuslicher Krankenpflege in Form von Injektionen einmal täglich, siebenmal wöchentlich beantragt.
Mit streitigem Bescheid vom 04.10.2010 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme für die Insulin-Injektionen ab, da die Kosten der medizinischen Behandlungspflege bereits in der Aufenthaltsabgeltung nach § 43a SGB XI beinhaltet seien.
Dagegen hat der Betreuer fristgerecht Widerspruch erhoben, den er im Wesentlichen damit begründete, dass nach Auskunft der Lebenshilfe A-Stadt die Kosten für die Injektionsgabe nicht durch die Aufenthaltsabgeltung abgegolten seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erhielten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar sei, oder wenn durch sie die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt werde (Vermeidungspflege, § 37 Abs. 1 SGB V) oder wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei (Sicherungspflege, § 37 Abs. 2 SGB V). Nach § 43a Satz 1 SGB XI übernehme die Pflegekasse für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen (§ 71 Abs. 4), zur Abgeltung der in § 42 Abs. 2 genannten Aufwendungen (pflegebedingte Aufwendungen, Aufwendungen der sozialen Betreuung sowie Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege) 10 v.H. des nach § 75 Abs. 3 SGB XII vereinbarten Heimentgelts. Die Aufwendungen der Pflegekasse dürften im Einzelfall je Kalendermonat 256,- € nicht überschreiten (§ 43a Satz 2 SGB XI). Aus dieser Regelung ergebe sich, dass eine Kostenübernahme der Krankenkasse für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V für Personen, die in vollstationären Einrichtungen nach § 43a SGB XI untergebracht seien, nicht möglich sei, da diese bereits mit den Entgelten der Sozialhilfeträger abschließend abgegolten seien. Hierfür würden von den Pflegekassen 10 v.H. der Aufwendungen, maximal 256,- € je Kalendermonat an die Sozialhilfeträger erstattet. Mit dieser Leistung würden alle in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen - auch die für die medizinische Behandlungspflege - abgegolten. Soweit Einrichtungen ...