Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Aufhebung einer Bestätigung über die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung nach Kündigung des Hausärztevertrags. Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage eines Versicherten

 

Leitsatz (amtlich)

Kündigung der Hausarztzentrierten Versorgung: Kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auf Seiten der Patienten.

 

Orientierungssatz

1. Die Umstellung einer Anfechtungsklage oder einer allgemeinen Leistungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist keine Klageänderung und daher auch im Berufungsverfahren und Revisionsverfahren statthaft.

2. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse kommt grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität, eines Rehabilitationsinteresses, einer schweren Grundrechtsverletzung oder einer Wiederholungsgefahr in Betracht (BSG, 18. Mai 2011, B 3 KR 7/10 R).

3. Die hausarztzentrierte Versorgung tritt neben die reguläre hausärztliche Versorgung. Sie ist eine Sonderform der hausärztlichen Versorgung. Daher ist ein Versicherter während einer hausarztvertragslosen Zeit regelmäßig nicht in seinem verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf medizinische Vorsorge für Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.09.2015; Aktenzeichen B 1 KR 19/15 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin nach Kündigung des mit dem Bayerischen Hausärzteverband e.V. geschlossenen Hausarztvertrages durch die Beklagte Anspruch auf Leistungen der hausarztzentrierten Versorgung hat.

Die bei der Beklagten versicherte Klägerin nahm seit Oktober 2009 - wie weitere 2,6 Mio. Versicherte - an der von der Beklagten angebotenen hausarztzentrierten Versorgung teil. Dies wurde ihr von der Beklagten auch mit Bescheid vom 23.09.2009 bestätigt. In dem Bescheid wurde gegenüber der Klägerin festgestellt, dass sich die Praxisgebühr aufgrund der Teilnahme auf jährlich 10,00 € verringere.

Die von der Beklagten angebotene hausarztzentrierte Versorgung beruhte auf einem von der Beklagten mit dem Bayerischen Hausärzteverband geschlossenen Vertrag über eine hausarztzentrierte Versorgung in der Fassung vom 03.09.2009. Als Vorteile für die teilnehmenden Versicherten waren

* ein jährlicher Gesundheitscheck ab dem 35. Geburtstag, eine jährliche Vorsorgeuntersuchung Hautkrebs,

* eine jährliche Ultraschalluntersuchung zur Vorsorge und

* zusätzliche Laboruntersuchungen

vereinbart.

Der Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung wurde von der Beklagten zum Jahresende 2010 außerordentlich gekündigt. Das Bayerische Landessozialgericht bestätigte mit Beschluss v. 22.02.2011 - L 12 KA 2/11 B ER - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Rechtmäßigkeit der Kündigung. Ein Hauptsacheverfahren wurde nicht mehr durchgeführt.

Die Beklagte schloss am 01.02.2012 mit Wirkung zum 01.07.2012 einen neuen Hausarztvertrag mit dem Bayerischen Hausärzteverband e. V. ab. Derzeit findet dieser Vertrag auf Grund eines nicht abgeschlossenen Schiedsverfahrens weiter Anwendung. Die Klägerin nimmt an dieser neuen hausarztzentrierten Versorgung seit 01.07.2012 teil.

Die Beklagte informierte die Klägerin mit Bescheid vom 21.01.2011 darüber, dass mit der Kündigung des Hausarztvertrages auch die Teilnahme der Klägerin am Hausarzttarif beendet sei und die Befreiung von der Praxisgebühr ab 2011 ihre Gültigkeit verloren habe.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Eine Beendigung der Teilnahme am Hausarztvertrag sei nach § 19c Abs. 5 der Satzung der Beklagten nur möglich, wenn die Klägerin die Pflichten nach § 19c Abs. 3 und 4 der Satzung der Beklagten nicht beachtet habe. Eine andere Kündigung sei nicht möglich. Es werde auf den vertraglich festgelegten Vorteilen des Vertrags, den Erlass der Praxisgebühr und den jährlichen Gesundheitscheck mit Ultraschallvorsorge bestanden. Die Praxisgebühr von 10,00 € für das Jahr 2011 sei bereits erhoben und bislang nicht zurückerstattet worden. Die Beklagte sei nach § 73b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) verpflichtet, ihren Versicherten einen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung anzubieten. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen einem Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und den Hausärzten einerseits sowie zwischen der Versicherten und der Beklagten andererseits.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2011 zurückgewiesen. Bestehe ein Vertrag mit einem Leistungserbringer nicht mehr, so könnten Versicherte auch keine Leistungen aus diesem Vertrag mehr beanspruchen. Der Hausarztvertrag sei durch außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund beendet worden und daher nicht mehr existent. Der Bayerische Hausärzteverband habe sich gravierend vertragswidrig verhalten, weshalb eine Fortführung des Hausarztvertrages für die Beklagte nicht zumutbar gewesen sei. Damit sei auch eine...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge