Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegestufe. Antrag auf Höherstufung. Zeitbedarf. Grundpflege. Pflegegeld. Pflegeperson. hauswirtschaftliche Versorgung. zusätzlicher Hilfebedarf bei Kindern. allgemeine Aufsicht. Intensität der Aufsicht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zeiten der allgemeinen Aufsicht über ein Kind sind nicht im Rahmen der Pflegeversicherung berücksichtigungsfähig.

2. Etwas anderes gilt dann, wenn die Aufsicht von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch nur für kurze Zeit, unterbrechen muss.

 

Normenkette

SGB XI § 37 Abs. 1 Sätze 1-3, § 19 S. 1, § 14 Abs. 4, § 15 Abs. 3

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Juli 2004 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist für die Zeit vom 1. September 2002 bis 7. August 2003 die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II statt I.

Bei dem 1999 geborenen Kläger, der im Rahmen der Familienversicherung bis 7. August 2003 bei der Beklagten versichert war und Leistungen der Pflegestufe I bezog, besteht ein Down-Syndrom und ein Zustand nach transitorischem myeloproliferativem Syndrom im Neugeborenenalter. Im Mai 2002 wurde eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert.

Am 29. August 2002 ging bei der Beklagten ein Antrag auf Höherstufung ein. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Bayern vom 10. März 2003 nach Hausbesuch ein. Danach bestand ein Zeitbedarf für den Bereich Grundpflege in Höhe von 53 Minuten pro Tag (Körperpflege 38 Minuten, Ernährung 15 Minuten, Mobilität 0 Minuten), für hauswirtschaftliche Versorgung von 45 Minuten pro Tag. Der grundpflegerische Hilfebedarf habe sich durch die Therapie der Leukämie nicht verändert, da der Kläger aufgrund der geistigen Einschränkungen im Bereich Nahrungsaufnahme und bei der Blasen-/Darmentleerung grundsätzlich mehr Hilfe benötige als ein gesundes, gleichaltriges Kind. Die Pflegestufe II sei nicht zu gewähren.

Mit Bescheid vom 13. März 2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des MDK vom 12. Mai 2003 nach Hausbesuch ein. Der zeitliche Mehrbedarf betrug danach für die Grundpflege 67 Minuten (Körperpflege 45 Minuten, Ernährung 15 Minuten, Mobilität 7 Minuten), für hauswirtschaftliche Versorgung 45 Minuten. Die geltend gemachten allgemeinen Betreuungsaufwendungen sowie die allgemeine Anwesenheit einer Pflegeperson wurden nicht den Pflegeaufwendungen zugerechnet. Zwar sei glaubhaft nachvollziehbar, dass im Rahmen des Tagesablaufs eine Vielzahl von Handreichungen und sonstigen allgemeinen Tätigkeiten erforderlich würden, jedoch fänden nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausschließlich Katalogverrichtungen im Sinne des § 14 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Berücksichtigung. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2003 zurück.

Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Augsburg begehrte der Kläger weiterhin Pflegeleistungen mindestens nach der Pflegestufe II. Die Nahrungsaufnahme müsse ständig überwacht und kontrolliert werden. Er müsse ferner ständig gewickelt werden. Bei sämtlichen täglichen Verrichtungen müsse eine Aufsichtsperson anwesend sein; er könne sich weder selbst ankleiden noch waschen oder z.B. Zähne putzen, da ihm der Sinn dieser Verrichtungen nicht bekannt sei. Ein Pflegetagebuch für den Zeitraum vom 1. bis 14. September 2003 wurde vorgelegt.

Das Sozialgericht holte einen Befundbericht des Dr. S. ein und zog die Befundberichte des Universitätsklinikums U. bei. Mit Urteil vom 22. Juli 2004 wies es die Klage ab. Es bezog sich vor allem auf die Stellungnahmen des MDK. Soweit die Mutter des Klägers in dem Pflegetagebuch erheblich umfassendere Zeiten angebe, seien diese zwar glaubhaft. Zum einen müsste bei den Zeiten des Hilfebedarfs aber der zeitliche Pflegeaufwand eines gesunden gleichaltrigen Kindes herausgerechnet werden, zum anderen seien die umfassenden Zeiten der Überwachung und Betreuung sowie für Kommunikationshilfen nicht berücksichtigungsfähig.

Mit der Berufung machte die gesetzliche Vertreterin des Klägers geltend, es hätte eine gutachterliche Überprüfung der Pflegebedürftigkeit stattfinden müssen. Auf klägerischen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte der Senat ein Gutachten des Kinder- und Jugendarztes Dr. S. vom 21. September 2005 ein. Seit 29. August 2002 habe sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich geändert. Er leide in zunehmenden Maße an der Infektionskette der Luftwege, multiplen Verletzungen, Schlafstörungen, Sozialkontaktstörungen, Darmentleerungsstörungen, Hautinfektionen, Entwicklungsstörungen, Seh- und Sprachentwicklungsstörungen sowie Hördefiziten. Nach eingehender Erkundigung bei der Kindsmutter...

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