Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Sturz eines Maurers auf einer Baustelle bei enger familiärer Beziehung zu dem Bauherren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es besteht kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, wenn es an einer persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit mangelt.

2. Maßgeblich für das Vorliegen eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses ist, dass der Beschäftigte einem nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung seiner Tätigkeiten umfassenden Weisungsrecht unterliegt.

3. Es besteht kein Versicherungsschutz aufgrund eines Tätigwerdens wie ein Beschäftigter, wenn die Tätigkeit nicht arbeitnehmerähnlich verrichtet worden ist, sondern vorrangig durch die enge familiäre Beziehung geprägt und außerdem unternehmerähnlich ausgeübt worden ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.06.2017; Aktenzeichen B 2 U 29/17 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 6. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin des M. F. (nachfolgend: M. F.) von der Beklagten und Berufungsbeklagten die Anerkennung eines Ereignisses vom 27. Mai 2008 als Arbeitsunfall des Versicherten im Sinne von § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).

Die 1942 geborene Klägerin ist die Witwe des 1939 geborenen und 2013 verstorbenen M. F. Im Zeitpunkt seines Todes lebte die Klägerin mit M. F. in einem gemeinsamen Haushalt. M. F. stürzte am 27. Mai 2008 auf der Baustelle eines Doppelhauses in P-Stadt rückwärts durch ein Treppenauge ein Stockwerk tief auf einen Betonboden. Nach dem Unfall wurde M. F. mit dem Hubschrauber in das Klinikum der Universität R. eingeliefert, wo ein Polytrauma mit schwersten Verletzungen festgestellt wurde (D-Arzt-Bericht vom 27. Mai 2008).

Bei dem Bauvorhaben handelte es sich um den Bau eines Doppelhauses. Bauherren waren W. F. (Sohn des M. F.; nachfolgend: W. F.) und R. F. (Schwiegertochter des M. F.; nachfolgend: R. F.). Das Doppelhaus, mit dessen Bau etwa Mitte April 2008 begonnen worden war, sollte nach der Fertigstellung nicht der Eigennutzung eines Familienmitgliedes dienen, sondern weiterveräußert oder vermietet werden. Die Bauarbeiten waren der Firma E. Wohnbau GmbH (nachfolgend: Fa. E.) als Generalunternehmerin übertragen worden. Die Fa. E. beauftragte ihrerseits die Firma B. Baugesellschaft (nachfolgend: Fa. B.) als Subunternehmerin mit der Ausführung der Baumeisterarbeiten, d.h. mit den Maurerarbeiten zur Rohbauerstellung. Die Ausführung der Bauarbeiten war bei der Beklagten angezeigt worden. Nach dem Unfall wurde am 17. Juni 2008 angegeben, dass M. F. 6,5 Arbeitsstunden erbracht habe sowie "J. R. (Vater/ Schwiegervater)" zwei Arbeitsstunden.

Das Angebot der Fa. E. gegenüber den Bauherren vom 17. März 2008 enthielt folgenden Hinweis: "Wie besprochen könnte der Angebotspreis noch durch diverse Optimierungen, wie z.B. Lieferung von Baustahl, Mitarbeit durch Vater/ Schwiegervater etc. gemindert werden." Im Bauvertrag war unter Ziffer II. 2.2 festgehalten: "Bei etwaigen Eigenleistungen obliegen der Auftragnehmerin [Fa. E.] keine Beratungs- und Überwachungspflichten. Art und Umfang von Eigenleistungen sowie die zeitliche Eingliederung in den Bauablauf und ihre Bewertung im Hinblick auf eine Änderung des Festpreises müssen in einer gesonderten Vereinbarung festgelegt werden, die Vertragsbestandteile sind."

Zum Unfallzeitpunkt befanden sich der Zeuge T. B. (Inhaber der Fa. B.) sowie drei seiner Mitarbeiter auf der Baustelle. Die Fa. B. war am Unfalltag damit beschäftigt, eine sog. Filigrandecke auf das Obergeschoss aufzulegen. M. F. kam an der Baustelle vorbei und erfuhr im Gespräch mit den Bauarbeitern, dass diese nicht genug Stahlrohrstützen vor Ort hatten und deshalb überlegten, wo sie weitere Stützen herbekommen könnten. Da er zu Hause eigene Stahlrohrstützen besaß, fuhr er nach Hause und brachte diese mit einem Traktor mit Anhänger zur Baustelle. Zum Unfallzeitpunkt war er gemeinsam mit den Mitarbeitern der Fa. B. damit beschäftigt, die Stützen auszuladen.

Der Zeuge M. E. (Geschäftsführer der Fa. E.) ist zum Unfallzeitpunkt nicht auf der Baustelle gewesen. Er gab an, dass sein Unternehmen mit der Ausführung des Bauvorhabens beauftragt gewesen sei. Mit W. F. sei mündlich vereinbart gewesen, dass M. F. für Hilfsarbeiten tätig werde. Die Fa. B. habe Kenntnis von dieser Vereinbarung gehabt. Die Fa. B. habe es auch übernommen, die im Zusammenhang mit den bauherrenseitigen Eigenleistungen anfallenden Arbeitsstunden zu protokollieren. Ein Beschäftigungsverhältnis zwischen M. F. und der Fa. E. habe nicht bestanden, er habe M. F. auch keinen Lohn gezahlt.

Der Vorgang wurde zunächst durch die Beklagte, dann jedoch durch die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (C.) bearbeitet, weil die Fa. E. dort Mitglied ist und man zunächst ...

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