Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellungsklage. Entsendung. Meldepflicht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine auf die Feststellung gerichtete Klage, dass keine Verpflichtung besteht, die auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Arbeitsleistung entsandten Arbeitnehmer bei der Bundesagentur für Arbeit anzumelden, ist als negative Feststellungsklage zulässig.

2. § 3 Abs 2 AEntG mit den darin nominierten Meldepflichten ist nicht nur auf solche Verleiher mit Sitz im Ausland beschränkt, die von einem für allgemein verbindlich erklärten, einen bestimmten Mindestlohn bzw. Arbeitsbedingungen vorsehenden Tarifvertrag erfasst werden.

3. Die in § 3 Abs 2 AEntG normierten Meldepflichten für ausländische Verleiher verstoßen gegen die in Art. 49, 50 EGV normierten Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr in der Europäischen Union, sofern die auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Arbeitsleistung entsandten Arbeitnehmer nicht von den Bestimmungen eines einen Mindestlohn bzw. Arbeitsbedingungen vorsehenden, für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag erfasst werden. Diese Vorschrift ist deshalb europarechtskonform eng auszulegen.

 

Normenkette

SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1; AEntG § 3 Abs. 2; EGV Art. 49-50

 

Verfahrensgang

SG Nürnberg (Urteil vom 16.11.2000; Aktenzeichen S 15 AL 77/99)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.03.2003; Aktenzeichen B 11 AL 27/02 R)

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.11.2000 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass eine Pflicht der Klägerin nicht besteht, von ihr auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Arbeitsleistung entsandte Arbeitnehmer bei der Beklagten anzumelden, sofern solche Arbeitnehmer nicht von den Bestimmungen eines Mindestlohn bzw Arbeitsbedingungen vorsehenden, für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrags erfasst sind.

III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten der Umfang der Meldepflicht nach § 3 Abs 2 des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der Fassung des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes vom 16.12.1997 (BGBl I S. 2970), geändert durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (BGBl I S. 3843). Insbesondere wird die Europarechtswidrigkeit dieser Regelung in der Auslegung der Beklagten geltend gemacht.

Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft des französischen Rechts mit Sitz in Frankreich, deren ausschließlicher Zweck die Arbeitnehmerüberlassung ist. Im Schreiben des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz-Saarland (LArbS) vom 08.04.1998 war ausgeführt worden, dass Arbeitgeber mit Sitz im Ausland nach §§ 1 ff AEntG, 1 ff Baubetriebe-Verordnung (Baubetr-VO) verpflichtet seien, die im Wege der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung Beschäftigten zu melden und zu versichern, dass die in § 1 AEntG vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen eingehalten würden. Weitergehende Pflichten ergäben sich derzeit nicht.

Im Schreiben vom 24.08.1998 wies die Beklagte darauf hin, dass die in § 3 Abs 2 AEntG normierte Verpflichtung zur Anmeldung ohne Ausnahme alle Verleiher beträfe, die grenzüberschreitend Arbeitnehmerüberlassung in der Bundesrepublik Deutschland betrieben. Dies sei unabhängig davon, in welche Sparten der nach § 2 Baubetr-VO zulässige Verleih erfolge und ob dort ein Mindestlohntarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt worden sei, wie zB im Elektrohandwerk. Es bestünde daher eine Verpflichtung zur Meldung, sobald ein Arbeitnehmer für eine der in § 2 Baubetr-VO genannten Tätigkeiten nach Deutschland verliehen würde.

Dagegen hat die Klägerin am 14.12.1998 negative Feststellungsklage zum Sozialgericht für das Saarland erhoben, die mit Beschluss vom 18.01.1999 an das Sozialgericht Nürnberg (SG) verwiesen wurde.

Laut der vom SG Nürnberg in einem Parallelverfahren eingeholten Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 03.05.2000 – III a 6 – 39083 – 12 sind nach dortiger Rechtsauffassung auch in Fällen, in denen ein allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag nicht besteht, Meldungen ausländischer Verleiher gemäß § 3 Abs 2 AEntG unerlässlich für eine effiziente Kontrolle der Einhaltung des AEntG, da die exakte Abgrenzung der fachlichen Geltungsbereiche von Tarifverträgen im Baubereich für die zuständigen Kontrollbehörden nicht die Möglichkeit schaffte, Unternehmen, die die Bestimmungen des AEntG und der relevanten Tarifverträge nicht einhielten, in Deutschland aufzuspüren und zur Einhaltung der zwingenden Arbeitsbedingungen nach dem betreffenden Tarifvertrag anzuhalten. Das Gesetz sei zur Umsetzung der Richtlinien 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Amtsblatt der EU Nr L 18/1 vom 21.01.1997) erlassen worden. Die Meldepfli...

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