Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen Erwerbsminderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Volle/teilweise Erwerbsminderung - Beweiswürdigung; Vorliegen einer chronischen Schmerzkrankheit.

2. Bei Schmerzempfinden ohne organisches Korrelat darf eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens nur dann angenommen werden, wenn individuell und konkret nachgewiesen ist, warum der Versicherte gerade wegen der Schmerzkrankheit nicht mehr zeitlich voll arbeiten kann.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. März 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft die Frage, ob der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zusteht.

Die 59-jährige Klägerin ist türkische Staatsangehörige. In der Türkei besuchte sie fünf Jahre lang die Volksschule. Einen Beruf erlernte sie nicht. Seit 1969 befindet sie sich in der Bundesrepublik Deutschland. Über lange Jahre hinweg bis März 2006 arbeitete die Klägerin als Montiererin, zuletzt als Prüferin für Spulengruppen bei der Firma B.. Zwischenzeitlich war sie in den 1970er Jahren vorübergehend für drei Jahre in einer Strumpffabrik tätig. Mit Ablauf des 31.03.2006 wurde das Arbeitsverhältnis zur Firma B. beendet.

Die Klägerin leidet unter anderem an einem seit etwa 1990 bekannten und seit 2003 insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2. Zudem hat sie eine angeborene "Mittelmeeranämie". Neben Wirbelsäulenbeschwerden werden auch psychische Probleme geltend gemacht. Der aktuelle Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht beträgt 40.

Am 19.04.2005 beantragte die Klägerin zum ersten Mal eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im Verwaltungsverfahren erstellte der Allgemein- und Sozialmediziner Dr. L. ein Gutachten nach persönlicher Untersuchung (Gutachten vom 03.06.2005). Er kam zum Ergebnis, die Klägerin sei in der Lage, leichte Tätigkeiten täglich noch sechs Stunden und mehr unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Einen zunächst eingelegten Widerspruch nahm die Klägerin zurück.

Am 30.04.2007 beantragte die Klägerin erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ ein Gutachten durch den Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. G. erstellen (Gutachten vom 03.07.2007). Der Arzt sah eine depressive Verstimmung mit teilweise körperlichen Ausgestaltungen im Vordergrund. Er stellte eine weiterführende kardiologische Diagnostik in den Raum (Koronarangiographie). Dennoch kam er zum Ergebnis, die Klägerin sei in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.

Vom 12. bis 15.06.2007 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der Klinik A-Stadt (Bericht vom 14.06.2007). Die Agentur für Arbeit K. erstellte am 06.07.2006 ein medizinisches Gutachten nach persönlicher Untersuchung. Danach sei die Klägerin in der Lage, vollschichtig leichte Tätigkeiten in Tagesschicht und ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit auszuüben, wobei die Arbeitspositionen jeweils überwiegend gehend, stehend oder sitzend sein könnten.

Mit Bescheid vom 17.07.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder eine Erwerbsminderung noch Berufsunfähigkeit vorliege. Dagegen legte die Klägerin am 30.07.2007 Widerspruch ein. Die Beklagte holte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens verschiedene Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Weiter forderte sie Auskünfte vom ehemaligen Arbeitgeber an. Die Firma B. teilte im September 2007 mit, es habe sich um eine ungelernte Tätigkeit gehandelt, für die nur eine betriebliche Einarbeitung von circa drei bis vier Tagen notwendig gewesen sei. Die letzte Tätigkeit der Klägerin sei sehr einfach gewesen.

Ein weiterer stationärer Aufenthalt schloss sich vom 12. bis 14.09.2007 an. Dieser hatte den Zweck, die von Dr. G. angesprochene Koronarangiographie, eine röntgenographische Darstellung von Blutgefäßen mit Hilfe injizierter Kontrastmittel, durchzuführen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 14.03.2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben.

Vom 29.04. bis 03.05.2008 hat sich die Klägerin zur stationären Behandlung im Krankenhaus L. aufgehalten, wo wegen chronischer Rückenschmerzen eine Infiltrationsbehandlung mit einem Schmerzmittel durchgeführt worden ist. Vom 05. bis 19.05.2008 hat sie sich in stationärer Behandlung im Diabetes Zentrum Bad M. befunden.

Unter dem Datum 20.09.2008 hat die Neurologin und Psychiaterin Dr. A. J. für das Sozialgericht ein Gutachten nach persönlicher Untersuchung erstellt. Die Sachverständige hat auf neurologischem Fachgebiet eine leichtgradige Polyneuropathie als Folge der Zuckererkrankung festgestellt; spezifische Beschwerden seien von der Klägerin aber nicht geäuß...

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