Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Widerruf einer Leistungsbewilligung wegen einer Zweckverfehlung. tatsächliche Aufwendungen für eine Wohnung bei Mietzinsforderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer rechtswidrigen Festlegung eines Leistungsverwendungszweck in einem Bewilligungsbescheid ist ein Widerruf der Leistungsbewilligung wegen einer Zweckverfehlung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X nicht möglich.

2. Tatsächliche Aufwendungen iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegen bereits dann vor, wenn der Leistungsberechtigte einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist. Eine vom Leistungsberechtigten gegenüber seinem Vermieter erklärte, aber offensichtlich unwirksame Mietminderung lässt den Bedarf für Unterkunft nicht entfallen.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.06.2013 wird zurückgewiesen.

II. Auf die Klage des Klägers wird der Bescheid vom 19.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2014 aufgehoben, soweit der Beklagte damit den Bescheid vom 19.11.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.12.2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22.03.2013 für die Monate Januar 2013 und März bis Mai 2013 widerrufen und für diese Monate die erbrachten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zurückgefordert sowie diesbezüglich eine Aufrechnung erklärt hat.

III. Der Beklagte hat dem Kläger 1/3 seiner außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der zu gewährenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.05.2013 insbesondere in Bezug auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf.

Nach seinem Umzug aus dem M.-Kreis bezog der Kläger ab 01.11.2005 Alg II vom Beklagten. Er leidet insbesondere unter einer Laktose- und Fruktoseintoleranz und bezog ab 01.11.2010 eine Arbeitsmarktrente auf Zeit mit einem monatlichen Zahlbetrag ab 01.07.2012 iHv 629,26 €. Ausweislich des Mietvertrages beträgt die Miete für die ab 01.12.2011 bezogene Wohnung 200 € zzgl. Nebenkosten iHv 18,50 € und Heizkosten (Holz und Öl) iHv 50 €. Für Wasser- und Kanal ist ein monatlicher Abschlag von 48 € sowie zweimal jährlich für den Kaminkehrer je 24,52 € zu zahlen. Das Bad und das WC haben keine Heizung.

Auf den Fortzahlungsantrag vom 15.11.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19.11.2012 idF des Änderungsbescheides vom 12.12.2012 Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.12.2012 iHv monatlich 215,09 € (Regelleistung 374 €, ernährungsbedingter Mehrbedarf 77 €, Warmwasser 8,60 € und anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung 335,59 €, abzüglich Rente 629,96 € bereinigt um 30 € Versicherungspauschale und 19,86 € Kfz-Haftpflichtversicherung) und für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.05.2013 iHv monatlich 222,68 € (Regelleistung 382 €, ernährungsbedingter Mehrbedarf 76,40 €, Warmwasser 8,79 € und anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung 335,59 €, abzüglich Rente 629,96 € bereinigt um 30 € Versicherungspauschale und 19,86 € Kfz-Haftpflichtversicherung). Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung setzten sich zusammen aus 200 € Grundmiete, 50 € Heizung, 70,59 € Nebenkosten und 15 € Stromheizung Bad und WC. Der Kläger sei verpflichtet, die im Berechnungsbogen berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung vollständig an seinen Vermieter weiterzuleiten. Nur bei vollständiger Begleichung der berücksichtigten Kosten stehe der Leistungsanspruch in dieser Höhe zu. Sollte dies nicht erfolgen, müsse mit dem Widerruf des Bescheides gerechnet werden. Gegen beide Bescheide legte der Kläger jeweils Widerspruch ein und trug insbesondere vor, der ernährungsbedingte Mehrbedarf sei mit 77 € zu niedrig bemessen. Es seien vielmehr 900 € monatlich zu zahlen oder Kosten für Essen auf Rädern zu übernehmen. Für Unterkunft und Heizung würden Kosten iHv 368,59 € monatlich anfallen (Grundmiete 200 €, 50 € Öl/Holz, 48 € Beheizen Bad und WC mit Strom, 18,50 € Müll, 4,09 € Kaminkehrer und 48 € Kochstrom). Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.11.2012 (WS 90/13) und den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.12.2012 (WS 89/13) wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 22.03.2013 zurück.

Nach Vorlage eines Kündigungsschreibens des Vermieters vom 21.10.2013 wegen Nichtzahlung der Miete für September und November 2012, Januar 2013 sowie März bis Oktober 2013 und entsprechender Anhörung widerrief der Beklagte mit Bescheid vom 19.11.2013 die Bescheide vom 08.05.2012, 19.11.2012, 24.11.2012, 12.12.2012, 29.05.2013 und 30.07.2013 für September und November 2012, Januar 2013 sowie März bis Oktober 2013 im Umfang von 2.461,81 €. Die eingetretene Überzahlung werde mit den bewilligten Leistungen ab 01.12.2013 iHv 30% der Regelsatzes (114,60 €) aufgerechnet. Anhand der Leistungsbescheide hätte der Kläger erkennen mü...

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