Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenkasse: Kostenerstattung für Cannabis als Schmerzmittel
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Erstattung verauslagter Kosten für Cannabis als Schmerzmittel vor Inkrafttreten der Neufassung des § 31 Abs. 6 SGB V.
Orientierungssatz
Aus dem Wortlaut des § 31 Abs. 6 SGB V ergibt sich keine Rückwirkung für die Zeit vor dem Inkrafttreten am 10. März 2017. Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber nur eine Klarstellung beabsichtigt hat, finden sich in der Gesetzesbegründung nicht.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist noch die Erstattung der Kosten für eine Schmerztherapie mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorten Bedrocan und Bedica als Inhalation für die Zeit vor dem 10. März 2017.
Der 1983 geborene Kläger und Berufungskläger beantragte am 12. Mai 2014 unter Vorlage eines Arztberichts der Internistin Dr. K. vom 16. April 2014 die Kostenübernahme für eine Schmerztherapie mit Cannabis. Er leide an der seltenen Erkrankung einer hereditären Neigung zu Druckparesen. Diese Krankheit führe zu erheblichen Schmerzen, insbesondere in den unteren Extremitäten. Wegen der Seltenheit der Erkrankung gebe es wenig gesicherte schulmedizinische Therapieansätze. Aktuell kämen beim Kläger Buprenorphin und Pregabalin zum Einsatz. Eine Tilidinmedikation habe der Kläger nicht vertragen. Von der Cannabistherapie sei eine verbesserte Schmerzbehandlung mit günstigeren Nebenwirkungen zu erwarten sowie ein Rückgang der Krampfleiden und eine Besserung der Lebensqualität. Der Kläger gab an, dass die aktuelle Schmerztherapie mit Buprenorphin und Pregabalin aufgrund der Nebenwirkungen nicht mehr zumutbar sei und alternative Behandlungsmöglichkeiten nicht bekannt seien. Die Schmerztherapie mit Cannabis würde in seinem Fall zu einer deutlichen Verbesserung der gesamten Lebenssituation führen, da aufgrund des Verzichts auf die genannten Arzneimittel die Nebenwirkungen wie Erbrechen, Blasenschwäche und Kreislaufzusammenbrüche sowie lethargische Anfälle wegfallen würden. Eine Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle für den Erwerb von Cannabis in der Apotheke lag vor.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 19. Mai 2014 ein. Es bestehe keine Zulassung der beantragten Therapie bei dem beschriebenen Krankheitsbild, vielmehr liege ein off-label-use vor. Die gängigen schmerztherapeutischen Maßnahmen seien vordergründig medikamentös wie konservativ vorzuziehen. Mit Bescheid vom 4. Juni 2014 lehnte die Beklagte daraufhin eine Kostenübernahme ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine weitere Stellungnahme des MDK vom 25. Juli 2014 ein. Danach sei eine ursächliche Behandlung der Erkrankung des Klägers - einer hereditären Neuropathie mit erhöhter Neigung zu Druckläsionen bzw. rezidivierenden Drucklähmungen peripherer Nerven - nicht möglich. Bei Medizinal-Cannabisblüten (in dem Fall Bedrocan und Bedica) handele es sich gemäß Anlage 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) um verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel. Ein nicht verschreibungsfähiges Mittel könne nicht rezeptiert werden. Damit entfalle die Grundlage für eine Leistung der Krankenversicherung. Gemäß § 34 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen, abgesehen von durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien festgelegten Ausnahmen für solche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gälten und zur Anwendung bei diesen Erkrankung mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden könnten. Bei jedem Arzneimittel sei demnach eine vertragsärztliche Verordnung Voraussetzung für eine Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Beim Kläger liege auch keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsgemäß vergleichbare Erkrankung vor. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, wie sie hier gegeben seien, würden vier systemisch verabreichte Substanzgruppen empfohlen. Vorliegend sei nicht erkennbar, ob auch andere als die genannten Medikamente bisher zur Anwendung gekommen seien - in ausreichend hoher Dosierung und über ausreichend lange Zeit hinweg. Unter der Behandlung mit Opiaten könne es zu Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen kommen. Die Gefahren und Nebenwirkungen von Cannabis seien bisher nicht ausreichend untersucht worden. Es sei noch nicht abschließend geklärt, inwieweit Cannabis tatsächlich ein relativ günstiges Nebenwirkungsprofil aufweise.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Z...