Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss einer Verordnung von Cannabis zu Lasten der Krankenkasse bei Vorliegen eines chronischen Schmerzsyndroms

 

Orientierungssatz

1. Versicherte haben nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB 5 Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGB 5 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S 2 Nr. 6 SGB 5 ausgeschlossen sind.

2. Nicht in der Form eines Fertigarzneimittels verwendetes Cannabis ist gemäß Anlage 2 zum BtMG als verkehrs- aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel zuzuordnen. Damit ist eine Kostenübernahme zu Lasten der Krankenversicherung ausgeschlossen.

3. Allenfalls kommt eine Verordnungsfähigkeit bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung in Betracht (BVerfG Beschluss vom 6. 12. 2005, 1 BvR 347/98). Dies ist bei einem chronischen Schmerzsyndrom nicht der Fall.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 03.05.2018; Aktenzeichen B 1 KR 13/18 B)

 

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 4. Juni 2014 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2014 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Schmerztherapie mit Medizinal Cannabisblüten der Sorte Bedrocan und Sorte Bedica als Inhalation streitig.

Der am 1983 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten.

Am 12.05.2014 beantragte er die Kostenübernahme für eine Schmerztherapie mit Cannabis.

Hierzu legte er einen ärztlichen Bericht seiner behandelnden Internistin Dr. C. vom 16.04.2014 vor.

Danach leide der Kläger an der seltenen Erkrankung einer hereditären Neigung zu Druckparesen. Diese Krankheit führe zu erheblichen Schmerzen, insbesondere in den unteren Extremitäten. Wegen der Seltenheit der Erkrankung gebe es wenig gesicherte schulmedizinische Therapieansätze. Aktuell kämen beim Kläger Buprenorphin und Pregabalin zum Einsatz. Eine Tildinmedikation habe der Kläger nicht vertragen. Von der Cannabistherapie sei eine verbesserte Schmerzbehandlung mit günstigeren Nebenwirkungen zu erwarten sowie ein Rückgang der Krampfleiden und eine Besserung der Lebensqualität.

Hierzu holte die Beklagte eine medizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 19.05.2014 ein.

Anschließend lehnte sie mit Bescheid vom 04.06.2014 den Antrag ab.

Eine Verordnung von Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei nur in absoluten Ausnahmefällen möglich. Zudem habe der MDK in seiner Stellungnahme mitgeteilt, dass eine Zulassung von Cannabis bei dem beschriebenen Krankheitsbild nicht bestehe. Es läge ein Off-Label-Use vor.

Dagegen richtet sich der Widerspruch des Bevollmächtigten vom 20.06.2014.

Die Voraussetzungen für eine Übernahme der Therapiekosten im Rahmen eines Off-Label-Use seien erfüllt.

Hierauf holte die Beklagte nochmals eine Stellungnahme des MDK vom 25.07.2014 ein.

In dieser führte der MDK aus, dass eine ursächliche Behandlung der Erkrankung des Klägers nicht möglich sei. Bei Medizinal-Cannabisblüten (in dem Fall Bedrocan und Bedica) handle es sich gemäß Anlage 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) um verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel. Ein nicht verschreibungsfähiges Mittel könne nicht rezeptiert werden. Damit entfalle die Grundlage für eine Leistung der Krankenversicherung. Gemäß § 34 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen, abgesehen von durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien festgelegten Ausnahmen für solche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten und zur Anwendung bei diesen Erkrankung mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden könnten. Bei jedem Arzneimittel sei demnach eine vertragsärztliche Verordnung Voraussetzung für eine Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Beim Kläger läge auch keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsgemäß vergleichbare Erkrankung vor. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, wie sie hier gegeben seien, würden vier systemisch verabreichte Substanzgruppen empfohlen. Vorliegend sei nicht erkennbar, ob auch andere als die genannten Medikamente bisher zur Anwendung gekommen seien in ausreichend hoher Dosierung und über ausreichend lange Zeit hinweg. Zudem sei den Unterlagen nicht zu entnehmen, ob zum Beispiel zusätzlich Antiemetika verabreicht worden seien. Inwieweit eine topische Therapie besonders betroffener Areale mit zum Beispiel Lidocain oder Capsaicin zur Anwendung gekommen seien, sei den Unterlagen ebenfalls nicht zu entnehmen. Unter der Behandlung mit Opiaten könne es zu Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen kommen. Die Gefahren und Nebenwirkungen von Cannabis seien bisher nicht ausreichend untersucht worden. Es sei noch nicht abschließend geklärt, inwieweit Cannabis tatsächlich ein relativ g...

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