Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist. Einleitung. Disziplinarverfahren. Vertragsarzt. Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung. Laborleistung. Ermessen des Disziplinarausschusses
Orientierungssatz
1. Die zweijährige Ausschlußfrist zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens beginnt erst dann, wenn der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung die Handlung eines Arztes, gegen den Disziplinarmaßnahmen eingeleitet werden sollen, als sanktionsfähige Verfehlung beurteilen kann (vgl BSG vom 15.5.1991 - 6 RKa 37/89 = SozR 3-2500 § 81 Nr 1).
2. Die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung schließt nicht aus, daß der Arzt beim jeweiligen Patienten bestimmte Leistungen an Personen delegiert, die unter seiner Aufsicht und Weisung stehen und für die Erbringung der Hilfeleistung qualifiziert sind. Zu diesen Leistungen zählen auch die rationalisierungsfähigen Laborleistungen. Jedoch sind auch Leistungen des Speziallabors nur bei der persönlichen Überwachung und Verantwortung in Anwesenheit des Arztes zu erbringen.
3. Der Kassen-/Vertragsarzt hat im Rahmen seiner vertragsärztlichen Verpflichtungen nicht nur dafür zu sorgen, daß für die Patienten qualitativ ausreichende Leistungen erbracht werden, sondern er hat diese Leistungen höchstpersönlich zu erbringen, soweit nicht bestimmte Ausnahmen zulässig sind, wie zB Erbringung durch Assistenten, Vertreter oder Delegation. Ein Einkaufen der Leistungen bei dritten Ärzten ist unzulässig. Dabei spielt es auch keine Rolle, daß diese Verfahrensweise von anderen Kassenärztlichen Vereinigungen evtl geduldet wird. Die gerichtliche Überprüfung und die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme erfolgt regelmäßig in zwei Schritten. Die Beurteilung über das Vorliegen der "Tatbestandsvoraussetzungen" ist zu unterscheiden von der Prüfung der Frage, ob und gegebenenfalls welche Rechtsfolgen dafür angebracht und angemessen sind.
4. Bei der Entscheidung, ob eine Disziplinarmaßnahme und welche zu verhängen ist, handelt der Disziplinarausschuß nach seinem Ermessen; seine Entscheidung ist daher vom Gericht nur eingeschränkt nachprüfbar.
Tatbestand
Streitig ist eine von der Beklagten gegenüber der Klägerin ausgesprochene Disziplinarmaßnahme - ein Verweis - wegen der Abrechnung nicht persönlich erbrachter Leistungen.
Die Klägerin ist seit Juli 1983 in einer Gemeinschaftspraxis mit Herrn Dr.H. (H.) als Laborärztin in W. niedergelassen und als Kassenärztin (nunmehr Vertragsärztin) zugelassen.
Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Laborarztpraxis in D. wurde im April 1990 anhand von Ein- und Ausgangsrechnungen sowie von Zahlungsbelegen festgestellt, daß die Gemeinschaftspraxis der Klägerin und des Dr.H. in der Praxis in D. verschiedene laborärztliche Leistungen hat durchführen lassen. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Würzburg hat daraufhin am 30. April 1991 die Praxisräume der Klägerin und des Dr.H. untersucht und Abrechnungsunterlagen ab 1986 bis April 1991 sichergestellt. Am 29. November 1991 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin nach § 170 Abs.2 Strafprozeßordnung (StPO) mit der Begründung eingestellt, daß der Tatbestand des Betruges nicht erfüllt sei. Aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft (Az.: 152 Js 11 619/91) geht hervor, daß die Gemeinschaftspraxis der Klägerin und des Dr.H. in der Zeit von 1986 bis 1991 bei Versicherten der Primär- und Ersatzkassen Auftragsleistungen, die im Labor in D. durchgeführt worden waren, als eigene Leistungen bei der Beklagten abgerechnet hat. Dies hat Dr.H. auch eingeräumt, die Klägerin hat gegenüber der Polizei am 18. Juni 1991 angegeben, die Abrechnungen nicht auf ihre Richtigkeit hin kontrolliert zu haben.
Im März 1991 fragte der Vorsitzende der Bezirksstelle Unterfranken der Beklagten, Dr.O., in der Praxis der Klägerin an, ob in der Laborgemeinschaft alle gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen, die an eine Laborgemeinschaft gestellt werden, als erfüllt angesehen werden könnten. Anlaß hierzu seien die Veröffentlichungen über das Ermittlungsverfahren in D.. Am 11. April 1991 bot Dr.H. daraufhin an, die Angelegenheit in einem Gespräch zu erörtern. In dem am 10. Juni 1991 stattgefundenen Gespräch räumte Dr.H. ein, in seltenen, besonders aufwendigen oder schwierigen Laboranalysen andere Laborärzte beauftragt zu haben. Die Beklagte forderte dann am 24. Februar 1992 bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Würzburg die Akten des Ermittlungsverfahrens gegen die Partner der Gemeinschaftspraxis an, die sie nach Einsichtnahme am 12. März 1992 zurückgab.
Die Beklagte sah in der Abrechnung der Laborleistungen, die nicht in der Gemeinschaftspraxis in W., sondern in der Fremdpraxis in D. durchgeführt, aber als eigene persönliche Leistungen gegenüber der Beklagten abgerechnet wurden, einen Verstoß gegen kassen- und vertragsärztliche Pflichten und beantragte deshalb am 27. Mai 1993 die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Klägerin.
In einer Stellungnahme zu diesem Antrag führten die Prozeßbevollmächtigten der ...