Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsanspruch der Bundesagentur für Arbeit gegenüber einem Arbeitgeber für geleistete Sozialversicherungsbeiträge während eines Kündigungsschutzverfahrens. Beitragspflicht bei einem wegen tarifvertraglicher Ausschlussklausel entfallenen Entgeltanspruch. Verjährung von Beitragsansprüchen. Beginn der Verjährung von Beiträgen bei einem Kündigungsschutzprozess
Leitsatz (amtlich)
Zur Entstehung, Fälligkeit und Verfall von Beitragsansprüchen der Bundesagentur für Arbeit im Zusammenhang mit der Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld während eines laufenden, arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens (Anschluss an BSG vom 25.9.1981 - 12 RK 58/80 = BSGE 52, 152 = SozR 2100 § 25 Nr 3 = SozR 2200 § 405 Nr 10; BSG vom 22.6.1994 - 10 RAr 3/93 = SozR 3-4100 § 160 Nr 1).
Orientierungssatz
1. Wird im Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wenigstens bis zum Ende des Prozesses festgestellt, so bleibt der Arbeitgeber für diese Zeit auch zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet, selbst wenn aufgrund einer tarifvertraglichen Ausschlussklausel ein Anspruch des Arbeitnehmer auf Zahlung von Arbeitsentgelt für diese Zeit untergegangen ist.
2. Wurden während der Dauer eines Kündigungsschutzprozesses durch den Arbeitgeber weder das Arbeitentgelt weiter gezahlt noch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, so ist dann, wenn im Ergebnis des Prozesses der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt wird, als für den Verjährungsbeginn der Sozialversicherungsbeiträge relevanter Fälligkeitszeitpunkt die Rechtskraft der arbeitsgerichtlichen Entscheidung anzusehen.
3. Einzelfall zum Ausgleichanspruch der Bundesagentur für Arbeit gegen einen Arbeitgeber wegen der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen als Teil von Arbeitslosengeldleistungen während der Dauer eines Kündigungsschutzprozesses.
Normenkette
SGB III § 335 Abs. 3 S. 1, § 143 Abs. 3 S. 1; SGB IV § 7 Abs. 1, § 22 Abs. 1, § 25 Abs. 1 S. 1, § 26 Abs. 2, § 28d S. 1, § 28e Abs. 1 S. 1, § 28g S. 2; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1, § 3 S. 1 Nr. 3, § 166 Abs. 1 Nr. 2, § 168 Abs. 1 Nr. 1, § 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b; SGB X § 52 Abs. 1 Sätze 1-2, § 115
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.02.2016 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2013 wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattungspflicht der Klägerin in Bezug auf die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, die die Beklagte anlässlich der Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für einen Arbeitnehmer der Klägerin im Wege der Gleichwohlgewährung aufzubringen hatte.
Ein Arbeitnehmer der Klägerin, C. (S.), meldete sich am 17.02.2003 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Die Klägerin hatte das Arbeitsverhältnis mit S. fristlos mit Schreiben vom 02.01.2003 und bereits vorausgehend unter Einhaltung der Kündigungsfrist mit Schreiben vom 20.12.2002 zum 31.03.2003 gekündigt. Hierauf bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2003 Alg für die Zeit ab dem 17.02.2003 (Bescheid vom 12.03.2003) nach einem wöchentlichen (ungerundeten) Bemessungsentgelt von 912,13 € (gerundet 910,00 €) für eine Anspruchsdauer von 540 Kalendertagen.
Nachdem S. gegen die Klägerin eine Kündigungsschutzklage erhoben hatte, zeigte die Beklagte gegenüber der Klägerin (erstmals) auch den Anspruchsübergang in Bezug auf Arbeitsentgeltansprüche des S. an (Schreiben vom 13.03.2003). Die damit verbundene Anfrage, die Klägerin möge auf die Einrede der Verjährung und die Geltendmachung eventuell einschlägiger Ausschlussfristen verzichten, blieb seitens der Klägerin unbeantwortet.
In der Folgezeit wurde mit Teilurteil des Arbeitsgerichtes A-Stadt vom 28.05.2004 (10 Ca 352/03) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des S. durch die fristlose Kündigung vom 02.01.2003 nicht aufgelöst worden sei. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 08.09.2004 den Übergang von Arbeitsentgelt für die Zeit vom 17.02.2003 bis 30.06.2003 geltend gemacht hatte, wies die Klägerin darauf hin, dass der Kündigungsrechtsstreit noch nicht abgeschlossen sei. Daraufhin stellte die Beklagte den Erstattungsanspruch ruhend bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens. Nach dem Ende des Leistungsbezuges zum 09.08.2004 lehnte die Beklagte einen Antrag des S. auf Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab (Bescheid vom 30.11.2004). Auf einen erneuten Versuch der Beklagten, einen Erstattungsanspruch geltend zu machen (Schreiben vom 22.02.2005), erklärte die Klägerin, dass lediglich der Kündigungsrechtsstreit in Bezug auf die (fristlose) Kündigung vom 02.01.2003 abgeschlossen sei. Der Streit um die ordentliche Kündigung zum 31.03.2003 werde noch weitergeführt. Es bestehe jedoch die Bereitschaft, die b...