Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. Nachweis. Relevanz bildgebender Diagnoseverfahren. massive Leistungsbeeinträchtigungen im kognitiven Bereich. mehrere neuropsychologische Testverfahren. organisches Psychosyndrom. Schädel-Hirn-Trauma

 

Leitsatz (amtlich)

Die Diagnose eines organischen Psychosyndroms nach Schädel Hirn Trauma kann durch bildgebende Verfahren weder mit Sicherheit gestellt noch ausgeschlossen werden.

 

Orientierungssatz

1. Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma setzt entweder eine Unterbrechung der Bewusstseinskontinuität in einer Größenordnung von einer Stunde oder alternativ eine Amnesie von mindestens acht Stunden voraus.

2. Maßgebend für die Diagnose des organischen Psychosyndroms sind die durch mehrere neuropsychologische Testverfahren festgestellten massiven Leistungsbeeinträchtigungen des Klägers im kognitiven Bereich.

 

Normenkette

SGB VII § 56 Abs. 1 S. 1; SGG § 86

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.10.2011 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird unter Abänderung ihrer Bescheide vom 15.01.2008, 15.06.2009 und 21.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2010 verurteilt, dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 13.09.2006 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vom Hundert ab dem 22.06.2007 zu bewilligen.

III. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger (Kl.) Anspruch auf Verletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gegen die Beklagte (Bekl.) nach einem höheren Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als 20 vom Hundert (v.H.) hat. Streitig sind die Folgen der erlittenen Schädelverletzungen.

Der 1954 geborene Kl., der eine Motorrad-Werkstatt betrieb und bei der Bekl. versichert war, fuhr am 13.09.2006 gegen 9:00 Uhr bei einer Probefahrt mit dem Motorrad eines Kunden die Straße entlang, als plötzlich ein entgegenkommendes Auto ohne zu blinken nach links in einen Parkplatz abbog. Der Kl. prallte mit seinem Motorrad auf seiner Fahrbahnseite auf das querstehende Auto auf, wurde über dieses hinweg katapultiert und fiel auf die Fahrbahn.

Der Kl. wurde mit dem Notarzt in die chirurgische Klinik Dr. R. gebracht, wo er stationär vom 13.09.2006 bis zum 19.10.2006 behandelt wurde (Abschlussbericht vom 11.10.2006, D-Arzt-Bericht Dr. S. vom 13.09.2009). Als Diagnosen wurden eine Innenband-Teilruptur am rechten Kniegelenk, eine Gehirnerschütterung ersten Grades, eine HWS-Distorsion und eine Prellung der Handgelenke beidseits gestellt.

Noch am Unfalltag (13.09.2006) wurde eine CT des Schädels angefertigt, die einen unauffälligen Befund des Gehirns erbrachte, insbesondere keine Kontusionen, keine Hirnblutung, kein epidurales oder subdurales Hämatom und kein Hirnödem. Auf dem Formular zur Begründung der Notwendigkeit der CCT war handschriftlich angegeben: "Auf dem Transport Erbrechen und Übelkeit, in der Notaufnahme zunehmendes Eintrüben des Patienten, zeitlich nicht mehr orientiert. Intrazerebrale Läsionen?"

Nach den Angaben der Ehefrau des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. D. (siehe dessen Gutachten vom 12.04.2012) sei der Kläger den ganzen Tag bis abends um 18:00 Uhr nicht ansprechbar und nicht erweckbar gewesen. Am Abend habe er sie mit der Frage überrascht, wie viele Enkel sie hätten. Auch am Folgetag sei er noch verwirrt gewesen.

Im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt erhielt der Kl. eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Fachklinik Bad H. ab dem 19.10.2006. Die ursprünglich bis zum 09.11.2006 bewilligte Maßnahme wurde von der Bekl. auf Antrag der dortigen Ärzte bis zum 23.11.2006 verlängert. In der Begründung des Verlängerungsantrags heißt es unter "Komplikationen": "psychologische Vorstellung bezüglich Frage posttraumatischer Belastungsreaktion erforderlich". Im Entlassungsbericht der Fachklinik Bad H. vom 06.12.2006 wird unter "psychologischer Kurzbericht" die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt. Berichtet wurde von Albträumen, dem Vermeiden des Angstreizes (Motorrad) und einer gesteigerten Erregung mit Schlaf- und Konzentrationsproblemen über einen Monat nach dem Unfall. Eine Traumatherapie sei aus psychologischer Sicht dringend indiziert. Der Kl. sei weiterhin auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig.

Eine MRT des Neurokraniums vom 19.07.2007 bei Dr. W. ergab eine diskrete Mikroangiopathie, jedoch keinen Hinweis auf posthämorrhagische Residualveränderungen, auf eine postkontusionelle Parenchymläsion oder auf eine stattgehabte Blutung.

Bei einem Gespräch zwischen dem Berufshelfer der Bekl. und dem Kl. in dessen Wohnung am 07.08.2007 teilte der Kl. mit, das er das rechte Knie praktisch kaum belasten könne. Außerdem leide er seit dem Unfall im Jahr 2006 unter erheblichen psychischen Problemen. Er habe Angst, am Straßenverkehr teilzunehmen und leide selbst als Beifa...

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