Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Relevanz einer psychischen Erkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.

 

Orientierungssatz

Psychische Erkrankungen werden erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (vgl BSG vom 12.9.1990 - 5 RJ 88/89 sowie vom 29.3.2006 - B 13 RJ 31/05 R = BSGE 96, 147 = SozR 4-2600 § 102 Nr 2 und LSG München vom 21.3.2012 - L 19 R 35/08).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 14.03.2018; Aktenzeichen B 13 R 383/17 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 18.12.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Die 1971 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und Ehegattin eines Spätaussiedlers (§ 7 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz - BVFG). Sie ist am 17.09.1994 aus Kirgisistan nach Deutschland zugezogen und hatte dort ein Hochschulstudium als Wirtschaftswissenschaftlerin absolviert. In Deutschland war sie in den Jahren 1995 bis 1997 zeitweilig mit befristeten Verträgen als Arbeiterin in einer Süßwarenfabrik, in einem Automobilzulieferbetrieb und in einem Winzereibetrieb beschäftigt gewesen. Später bezog die Klägerin ab 2005 bis 2011 und nochmals von März 2015 bis September 2016 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), wobei bis Ende 2010 daraus auch Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden waren.

Am 14.11.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Sie gab hierbei an, seit etwa 1998 an Depressionen und körperlichen Schmerzen mit Muskelschmerzen und Kopfschmerzen sowie schneller Erschöpfung und Schlafstörungen zu leiden. Stationäre Behandlungen hätten im August/September 2013 und erneut ab November 2013 stattgefunden.

Am 31.01.2014 wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten durch den Psychiater und Sozialmediziner Dr. M. untersucht. Dieser stellte folgende Diagnosen:

1. Verdacht auf Persönlichkeitsstörung mit Übernachhaltigkeit und überdauernder depressiver Symptomatik.

2. Verdacht auf Somatisierungsstörung.

3. COPD II. Grades.

4. Adipositas.

Die Klägerin habe angegeben, es würden familiäre Belastungen vorliegen. Bei der körperlich-neurologischen Untersuchung hätte sich eine erhöhte Schmerzhaftigkeit nicht objektivieren lassen. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten ohne erhöhte psychische Belastungen im Umfang von täglich sechs Stunden und mehr ausüben. Der Schweregrad dürfe mittelschwere Tätigkeiten nicht überschreiten; Nachtschicht sei nicht möglich.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 04.02.2014 ab. Die medizinischen Ermittlungen hätten ergeben, dass ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht bestehe, da die Klägerin täglich noch mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Hiergegen legte die Klägerin am 28.02.2014 Widerspruch ein und machte geltend, dass sie bereits seit Jahren an einem depressiven Syndrom mit ausgeprägter Antriebsschwäche leide. Hinzu kämen multiple körperliche Beschwerden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2014 zurück; im Widerspruchsverfahren hätten sich keine neuen medizinischen Erkenntnisse ergeben.

Ab 04.03.2014 befand sich die Klägerin zur stationären Behandlung in der Psychosomatischen Klinik Bad N., aus der sie am 10.04.2014 arbeitsunfähig entlassen wurde.

Am 23.04.2014 hat die Klägerin per Telefax Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Sie hat auf ihre psychischen Beschwerden hingewiesen, die stationäre Behandlungen erforderlich gemacht hätten. Wegen zusätzlicher körperlicher Beschwerden sei eine psychosomatische Leistungsbeurteilung erforderlich.

Das Sozialgericht hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten eingeholt und zwar bei Dr. H., Allgemeinmediziner, am 22.07.2014 und bei Dr. R., Facharzt für Psychosomatische Medizin, am 01.09.2014. Dr. S. hat von einem einmaligen ambulanten Kontakt am 27.05.2013 berichtet. Eine psychosomatische Krankenhausbehandlung sei vom 13.08.2014 bis 27.08.2014 in der H. Klinik U-Stadt erfolgt.

Das Sozialgericht hat sodann die Fachärztin für Neurologie und Psychotherapeutische Medizin Dr. B. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Diese hat ihre gutachterliche neurologisch-psychosomatische Äußerung am 05.11.2014 abgegeben, nachdem sie die Klägerin am 30.10.2014 untersucht hatte. Als Diagnosen sind

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