Entscheidungsstichwort (Thema)
Säumniszuschläge. Betriebsprüfung. Statusfeststellung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Feststellung einer unverschuldeten Unkenntnis des Bestehens der Beitragspflicht in der Sozialversicherung bedarf einer individuellen Überprüfung des bedingten Vorsatzes unter sorgfältiger Beweiswürdigung im Einzelfall ( BSG vom 12.12.2018, B 12 R 15/18 R, Rn 24).
2. Die langjährige Berufserfahrung eines Steuerberaters oder das Versäumnis eines Statusfeststellungsantrags lassen nicht ohne weiteres auf ein billigendes Inkaufnehmen der Verletzung der Beitragspflicht schließen.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23. Januar 2023 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 sind nicht zu übernehmen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 29.588,50 € festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist zuletzt die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Säumniszuschlägen in Höhe von 29.588,50 € für die Zeit vom 1.1.2012 bis 30.6.2017.
Die Klägerin betreibt in Form einer GmbH ein Steuerberatungsunternehmen. Die Beigeladenen waren im streitgegenständlichen Zeitraum als Gesellschafter-Geschäftsführer für die Klägerin tätig. Laut Satzung beträgt das Stammkapital 90.000 € (Ziffer 5 der Satzung). Der Beigeladene zu 1 hielt seit 16.3.2010 37,33 % der Gesellschaftsanteile, seit 20.3.2013 57,5 % und seit 13.5.2014 unverändert 42,5 %. Der Beigeladene zu 2 hielt während des gesamten Zeitraums 47 % der Anteile. Beschlüsse werden laut Satzung (Ziffer 9.1 der Satzung) mit einfacher Mehrheit gefasst. Eine einstimmige Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung ist erforderlich bei Beschlüssen zur Auflösung und Liquidation der Gesellschaft, Bestellung, Abberufung und Entlastung der Geschäftsführer, Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Beteiligungen, Umwandlung der Gesellschaft und Aufnahme neuer Gesellschafter (Ziffer 9.2 der Satzung). Mit den Beigeladenen wurde jeweils ein Geschäftsführervertrag geschlossen, der u.a. ein monatliches Festgehalt, Anspruch auf Urlaub und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall vorsah. Im Rahmen der Anhörung teilte der Beigeladene zu 2 mit Schreiben vom 5.6.2017 mit, dass die letzte Sozialversicherungsprüfung nach seiner Erinnerung durch die AOK H erfolgt sei. Unterlagen hierzu lägen ihm nicht mehr vor. Es habe jedoch keinen Zweifel an seiner Sozialversicherungsfreiheit bestanden. Dies sei ihm schon bestätigt worden, als er noch mit 25 % an einer anderen Gesellschaft als Gesellschaftergeschäftsführer beteiligt gewesen sei. Eine entsprechende Prüfung sei nach seiner Erinnerung 1991 durch die BfA erfolgt.
Die Beklagte führte bei der Klägerin vom 21.11.2016 bis 4.7.2017 betreffend den Prüfzeitraum vom 1.1.2012 bis 31.12.2015 eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV durch. Im Rahmen dieser Betriebsprüfung wurde für die Beigeladenen ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV mit dem Ergebnis durchgeführt, dass die Gesellschafter-Geschäftsführertätigkeit aufgrund fehlender Rechtsmacht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wird und Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung (für den Beigeladenen zu 1 vom 1.1.2012 bis 19.3.2013 und vom 14.5.2013 bis 31.12.2016; für den Beigeladenen zu 2 vom 1.1.2012 bis 19.3.2013) besteht. Es wurden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 119.785,53 € nachgefordert sowie Säumniszuschläge von 36.415,50 € erhoben. Die Klägerin habe Kenntnis von der Zahlungspflicht, weil sie in gleichgelagerten Fällen die Beurteilung der Versicherungspflicht sowie die Abführung der Beiträge korrekt vorgenommen habe. Das Unternehmen gehöre zu den fachkundig beratenden Berufen, welches Abrechnungen gewerbsmäßig betreibe. Eine unverschuldete Unkenntnis sei nicht festzustellen. Bei Rechtsanwälten und anderen Berufsträgern sei in der Regel ein strenger Maßstab anzulegen (Bescheid vom 9.11.2017).
Den Widerspruch vom 27.11.2017 begründete die Klägerin damit, dass der Beigeladene zu 1 am 13.5.2014 und nicht, wie im Bescheid ausgeführt, am 14.5.2013 15 % seiner Geschäftsanteile an einen Dritten veräußert habe. Die Abtretung dieser Geschäftsanteile sei mit Wirkung vom 13.5.2014 erfolgt. Der Beigeladene zu 1 habe somit bis 12.5.2014 57,5 % der Anteile an der Klägerin gehalten. Entgegen den Ausführungen der Beklagten habe die Klägerin keine Kenntnis von ihrer Zahlungspflicht gehabt. Die Beteiligten seien anhand der gelebten gesellschaftsrechtlichen Strukturen davon ausgegangen, dass sie versicherungsfrei gehandelt hätten.
Mit Teilabhilfebescheid vom 6.4.2018 wurde die Beitragsnachforderung auf 97.486,14 €, einschließlich Säumniszuschlägen von 29.588,50 € wegen der nachgewiesenen Veräußerung der Gesellschaftsanteile erst zum 14.5.2014 reduziert. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.5.2018 u.a. unter Bezugnahme auf BSG...