Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Einpersonenhaushalt in Bayern. Angemessenheitsprüfung. Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts. Erkenntnisausfall. Heranziehung der Tabellenwerte nach § 12 WoGG plus Sicherheitszuschlag
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Schlüssigkeit der vom Beklagten für den Zeitraum von August 2013 bis Dezember 2015 ermittelten Mietobergrenzen für eine Person.
2. Der nach Ausfall lokaler Erkenntnismöglichkeiten erfolgte Rückgriff auf die Höchstwerte nach dem Wohngeldrecht zuzüglich eines Sicherheitszuschlages muss nicht dem Anspruch genügen, stets und bundesweit oberhalb einer vom Jobcenter - wenngleich unschlüssig - ermittelten Mietobergrenze zu liegen.
Orientierungssatz
1. Das Konzept muss nach der gewählten Datengrundlage eine hinreichende Gewähr dafür bieten, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben, was ua dann der Fall sein kann, wenn die Datenbasis auf mindestens 10 % des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestandes beruht. Abweichend hiervon sind beim Vorliegen eines Mietspiegels deutlich kleinere Stichprobengrößen zwischen 1 % bis 4 % zulässig.
2. Bei schlüssigen Konzepten für angemessene Unterkunftskosten muss nach Ablauf eines Zweijahreszeitraums eine Überprüfung und gegebenenfalls eine neue Festsetzung, zunächst durch den Grundsicherungsträger im Rahmen seiner Methodenfreiheit, erfolgen (Anschluss an BSG vom 12.12.2017 - B 4 AS 33/16 R = BSGE 125, 29 = SozR 4-4200 § 22 Nr 93).
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.04.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum von August 2013 bis Dezember 2015.
Der im August 1950 geborene, allein wohnende Kläger, bei dem ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 wegen "Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Arthrose" festgestellt ist (Bescheid des Versorgungsamts vom 18.07.2016), erhielt vom 25.07.2008 bis zum Erreichen der Altersgrenze am 31.12.2015 Alg II vom Beklagten. Seit Februar 2009 hat er - mit Genehmigung der Rechtsvorgängerin des Beklagten - seine aktuelle Wohnung angemietet. Diese liegt im 4. Obergeschoss (Aufzug ist vorhanden) und ist 48,21qm groß. Die Belegungs- und Mietbindung der Wohnung lief mit dem Jahreswechsel 2012/2013 aus, so dass ab dem Jahr 2013 kein Anspruch mehr auf die bis dahin geleistete Zusatzförderung bestand. Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 17.12.2012 mit, dass ab Juli 2013 nur mehr Unterkunftskosten (einschließlich kalter Nebenkosten) bis maximal 300 EUR angemessen seien. Ab Juli 2013 könne bei der Bedarfsberechnung nur noch die Mietobergrenze in Ansatz gebracht werden. Dem Kläger werde empfohlen, sich eine preiswertere Wohnung zu suchen. Tatsächlich fiel ab Juli 2013 für die Wohnung des Klägers monatlich eine Grundmiete i.H.v. 347,11 EUR sowie eine Vorauszahlung i.H.v. 76 EUR für kalte Betriebskosten und i.H.v. 67,01 EUR für Heizkosten an. Im Dezember 2014 forderte die Vermieterin vom Kläger außerdem eine Nachzahlung i.H.v. 67,13 EUR (Nachzahlung für Betriebskosten i.H.v. 114,47 EUR abzüglich eines Guthabens für Heizkosten i.H.v. 47,34 EUR) bis 30.12.2014. Auf das Mieterhöhungsverlangen vom 20.11.2014 hin zahlte der Kläger ab 01.02.2015 eine Grundmiete von monatlich 360,37 EUR; die Höhe der Nebenkosten blieb unverändert.
Zur Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten verwendete der Beklagte bis einschließlich Juni 2013 vom Stadtrat des kommunalen Trägers im Jahr 2006 beschlossene Richtlinien, die sich an den Wohngeldobergrenzen orientierten. Eine Datenerhebung erfolgte insofern nicht. Ab Juli 2014 fanden Angemessenheitsgrenzen Anwendung, die auf dem vom EMA-Institut für empirische Marktanalysen erstellten Gutachten zur Entwicklung von Angemessenheitsobergrenzen für die Kosten der Unterkunft von A-Stadt 2014 vom 21.05.2014 (Konzept 2014) beruhten. Diesem lag eine Datenerhebung im Oktober 2013 bei Mietern und Vermietern im Umfang von 1.354 Datensätzen im Rahmen einer parallel durchgeführten Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels zugrunde, wobei ein Gesamt-Mietwohnungsbestand von ca. 35.000 Wohnungen angenommen wurde. Einbezogen wurden außerdem weitere 143 Datensätze von preislich gebundenen Wohnungen und 713 Datensätze von Wohnungen, deren Miete in den letzten vier Jahren unverändert geblieben war, mithin insgesamt 2.232 Datensätze. Ein Ausschluss von Wohnungen von Beziehern existenzsichernder Leistungen oder von Wohngeld erfolgte nicht, es sei denn, es hätte sich um eine Sozialwohnung gehandelt. Wohnungen mit alleiniger Ofenheizung oder ohne eigenes Bad wurden ebenfalls nicht ausgeschlossen. Mittels ein...